„Ich würde nie so viel Welt in mich hineinlassen, als ich nicht auch verarbeiten kann.“
So schrieb Johann Wolfgang von Goethe im Juni 1824 an seinen Vertrauten Johann Peter Eckermann. Fast 200 Jahre später, im Zeitalter der digitalen Dauerberieselung, wirkt dieser Satz wie eine ferne Utopie. Wie viel Welt, wie viel Krisenmeldungen, wie viele Schreckensprognosen zum Klimawandel und auch zu allen anderen Themen lassen wir täglich in uns hinein – und wie wenig Zeit und Raum bleibt oft für die Verarbeitung?
Zu viel oder zu wenig?
Hier liegt ein Dilemma, das viele von uns kennen: Einerseits sagen Studien, dass Menschen besser mit der Bedrohung durch die Klimakrise umgehen können, wenn sie informiert sind. Wissen schützt vor dem Gefühl der Ohnmacht.
Andererseits: Je tiefer wir eintauchen, desto klarer wird auch, wie gewaltig die Gefahren sind. Und das kann Ängste, Wut oder Resignation verstärken. Zwischen diesen Polen – zwischen notwendiger Aufklärung und der Gefahr, daran zu verzweifeln – müssen wir unseren eigenen Weg finden.
Es gibt natürlich wieder mal kein Rezept, keine allgemeingültige Lösung. Aber es gibt Erfahrungen, die immer wieder auftauchen: dass es hilfreich sein kann, die Informationsflut bewusst zu dosieren; dass Selbstwirksamkeit – also das Gefühl, selbst etwas beitragen zu können – psychisch stabilisierend wirkt; und dass der konkrete Kontakt zur Natur oft mehr Trost und Orientierung schenkt als jede Statistik. Ein Spaziergang im Wald, die Arbeit im Garten oder das Beobachten von Vögeln kann zur kleinen, fast unscheinbaren Gegenmedizin werden.
Dieses Spannungsfeld – zwischen Wissen und Überforderung, zwischen globalen Katastrophenmeldungen und der „kleinen“ Kraftquelle Natur – gilt es, klug zu gestalten und damit ganz individuell umzugehen.
Das Dilemma: Wissen macht frei – und manchmal gefangen
Die moderne Psychologie hat oft betont, dass Wissen ein Schutzschild sein kann. „Ignorance is bliss“, Unwissenheit ist Glück, mag im Alltag kurzfristig entlasten. Aber langfristig führt das Verdrängen meist zu größerer Angst, weil das Unbestimmte bedrohlicher wirkt als das Bekannte. Albert Bandura, der Begründer des Konzepts der Selbstwirksamkeit, hat gezeigt: Menschen, die sich informiert fühlen und ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten einschätzen können, erleben weniger Ohnmacht und sind widerstandsfähiger gegen Krisen.
In einer großen und seriösen Studie zum Thema „climate change anxiety“ heißt es zum Beispiel:
In terms of practical implications, the main finding that environmental knowledge is negatively related to climate change anxiety suggests that efforts to improve environmental knowledge, for instance through educational and training interventions, may help reduce such anxiety.
Wissen ist also gut gegen die Angst, und mehr Wissen kann durch Bildung, Training und Lernen aufgebaut werden. Umwelterziehung ist wichtig und sinnvoll. Auch nicht sooo überraschend, aber extrem wichtig, finde ich.
Die Verzweiflung ist nicht weit entfernt
Doch zugleich kennen wir das andere Gesicht der Medaille. Wer sich in die wissenschaftliche Literatur zur Klimakrise vertieft, wer die Kurven steigender CO₂-Konzentrationen oder die Projektionen des Weltklimarates (IPCC) liest, kann kaum unberührt bleiben. Nicht zufällig spricht der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber von einer „planetaren Notlage“ und warnt, dass wir ohne tiefgreifende Transformation in eine „Heißzeit“ steuern könnten. Solche Worte sind keine Übertreibungen, sondern nüchterne Diagnose. Aber sie können lähmen.
In einer aktuellen (2024) Studie der BARMER wird sehr deutlich, dass das Thema jungen Menschen mehrheitlich immer noch Angst macht, obwohl der Klimawandel in der öffentlichen Diskussion an Aufmerksamkeit verliert. So verspüren 36% der Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren große Angst vor dem Klimawandel. Vor allem flößt den Jugendlichen die Zunahme von extremen Wetterphänomenen (Hitze/Dürren, Starkregen, Stürme etc.) Angst ein (56%), gefolgt von der Furcht vor dem Verlust von Lebensraum für Tiere und Menschen (45%). Nur 6% der Jugendlichen behaupten, dass sie überhaupt keine Angst vor den Folgen der Klimakrise hätten.
Das zeigt: Information allein ist kein Heilmittel. Sie kann erhellen – und zugleich erdrücken.
Zu wenig - oder zu viel?
Das Dilemma ist damit klar: Zu wenig Wissen bedeutet Gefahr, weil wir blind handeln oder eben gar nicht. Zu viel Wissen bedeutet Gefahr, weil wir seelisch erdrückt werden. Goethe hatte wohl genau das gemeint, aber unsere Welt – und besonders die Klimakrise – macht es schwer, eine Grenze zu ziehen, wie viel davon man in sich hineinlassen will.
Lea Dohm und Mareike Schulze beschreiben das in ihrem Buch „Klimagefühle - wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln“ so:
„Die innere Abwehr von Klimafakten und den damit verbundenen Gefühlen ist dabei zunächst einmal eine sinnvolle Schutzreaktion. Und dennoch brauchen wir eine gute Balance zwischen einer gesunden Abwehr und der Auseinandersetzung mit den Klimafakten und ihrer Bedeutung.“
Wege zwischen den Extremen
Wenn die eine Falle Verdrängung heißt und die andere Überwältigung, dann gilt es, dazwischen einen Pfad zu suchen. Keinen schmalen Grat, sondern eher ein weites Feld von Möglichkeiten, auf dem jede und jeder die eigenen Schritte finden muss.
Dosierung der Informationen
Die Aufmerksamkeitsökonomie schlägt gnadenlos zu, ungefähr 72 Stunden pro Woche ist jede/-r von uns online. 72 Stunden! Wer täglich stundenlang doomscrollt, also endlos schlechte Nachrichten liest, erschöpft seine seelischen Ressourcen. Bewusst Pausen einzulegen, Quellen zu wählen, die nicht nur Katastrophen, sondern auch Lösungen betonen, kann ein erster Schritt sein. Inzwischen gibt es sogar Plattformen für „Good News“, die gezielt lösungsorientierte Berichte sammeln.
Übersetzung von Wissen in Handlung
Menschen, die kleine Schritte in ihrem Alltag gehen – sei es beim Essen, bei der Mobilität oder im Energiesparen – fühlen sich nicht nur moralisch besser, sondern auch psychisch stabiler. Das Gefühl von Selbstwirksamkeit ist nicht nur ein theoretisches Konstrukt, sondern eine echte Ressource gegen Verzweiflung.
Am Ende dieses Artikels findest du eine kleine Checkliste, mit deren Hilfe du schnell überprüfen kannst, ob und wo du noch weitere Möglichkeiten hättest, eigene Veränderungen zu starten. Ich persönlich halte viel von den kleinen Schritten. Eigentlich glaube ich fast nur noch an kleine Schritte. Jeder meiner Texte hier in der Klimakolumne ist für mich einer dieser kleinen Schritte. Ich lese und recherchiere viel zum jeweiligen Thema, ich verarbeite die Infos und gebe sie weiter, und ich hoffe natürlich, dass ich in meiner Leserschaft kleine Anregungen zu jeweils eigenen Aktivitäten anstoßen kann.
Verbindung zur Natur
David Attenborough hat es einmal so formuliert: „No one will protect what they don’t care about; and no one will care about what they have never experienced.“ Wer im Wald die Vögel hört, wer im Garten die Erde zwischen den Fingern spürt, wer im Park auf einer Bank sitzt und einfach auf die Bäume hört, gewinnt eine andere Perspektive.
Wenn ich manche der Positionen der großen Tech-Giganten lese, kann ich mir nicht vorstellen, dass die jemals eine Blüte ganz genau angeschaut haben. Die Motivation, „das alles“ schützen zu wollen, die Ehrfurcht vor all dem Wunderbaren in der belebten Welt, sie sind die besten Begleiter in eine gesunde, lebendige und natürliche Welt.
Die Natur ist also nicht nur das bedrohte Objekt unseres Handelns – sie ist auch ein Subjekt, das uns beruhigen und stärken kann. Schon kurze Aufenthalte im Grünen können Stresshormone senken und das Wohlbefinden steigern.
Einbettung ins Gemeinsame
Wer sich allein fühlt, ist verletzlicher. Wer Teil einer Bewegung, einer Initiative, einer Gruppe ist, erfährt Halt. Der norwegische Psychologe Per Espen Stoknes spricht in seinem Buch „What We Think About When We Try Not to Think About Global Warming“ davon, dass Gemeinschaft und gemeinsame Sinnstiftung zentrale Gegengifte gegen Klimadepression sind.
Ich selber bin, wie an anderer Stelle schon beschrieben, unter anderem ehrenamtlich in einer Energiegenossenschaft aktiv. Diese Gemeinschaft schätze ich sehr, auch wenn die Mühen der Energiewende immer wieder beschwerlich sind. Gemeinsam geht‘s aber deutlich besser.
So entsteht also eine Skala möglicher Haltungen: vom bewussten Umgang mit Informationen über die kleinen Alltagshandlungen bis hin zur aktiven politischen Teilhabe. Entscheidend ist nicht, dass alle das Gleiche tun. Entscheidend ist, dass wir nicht in der Erstarrung stecken bleiben, sondern Schritte finden, die uns selbst tragen.
Dies gilt umso mehr, als der Klimaschutz derzeit politisch unglaublich unter Beschuss steht. Wenn der US-Präsident vor der UNO-Vollversammlung davon schwadroniert, dass die Klimakrise ein Betrug sei, und dass am besten alle weiter fleißig fossile Rohstoffe verbrennen sollten, wird mir die Dringlichkeit von wirksamen und positiven Aktionen auf allen Ebenen umso deutlicher.
Allerdings: Nur wer innerlich handlungsfähig bleibt, kann auch äußerlich etwas bewegen. Und vielleicht hätte selbst Goethe, konfrontiert mit der heutigen Nachrichtenflut, seinen Satz leicht ergänzt: „Ich würde nicht mehr Welt in mich hineinlassen, als ich in Natur, Gemeinschaft und Handlung verwandeln kann. Und natürlich in Poesie.“
Über die falsche Dichotomie zwischen “Selber machen” oder “Politisch werden”:
Was kann ich selber tun?
Eine kleine Checkliste für Selbstwirksamkeit und seelische Stabilität
Die Klimakrise kann überwältigend wirken. Wer jedoch selbst aktiv wird, fühlt sich weniger ohnmächtig und bleibt psychisch stabiler. Aktivität heißt dabei nicht Perfektion, sondern kleine, konkrete Schritte – passend zum eigenen Leben. Die folgenden Ebenen sind wie Zwiebelschalen aufgebaut: von innen nach außen. Du musst nicht alle Punkte abhaken. Schon ein einziger erster Schritt kann die eigene Haltung verändern und andere inspirieren.
1. Innere Schale: Ich und meine direkte Umgebung
Informieren – aber dosiert: Seriöse Quellen lesen, gezielt auswählen, Pausen vom Nachrichtenstrom nehmen.
Reden: Über Sorgen und Hoffnungen sprechen – mit Freunden, Familie, Kolleg:innen. Offenheit entlastet.
Natur erleben: Zeit im Grünen, Gartenarbeit, Spaziergänge, Tiere beobachten. Wissenschaftlich belegt: Naturkontakt reduziert Stress und stärkt Fürsorglichkeit.
Schreiben & Reflektieren: Gefühle aufschreiben, Tagebuch führen, kreative Ausdrucksformen nutzen.
Selbstfürsorge: Achtsamkeit, Sport, Musik, ausreichend Schlaf – nicht Luxus, sondern notwendige Basis.
2. Mittlere Schale: Alltag & Konsum
Mobilität: Mehr zu Fuß, mit Rad oder ÖPNV unterwegs sein, Flugreisen reduzieren. E-Auto, sofern möglich.
Energie: Strom aus erneuerbaren Quellen, Geräte effizient nutzen, Heizung anpassen.
Essen: Mehr pflanzlich, regional und saisonal essen; Lebensmittelverschwendung vermeiden.
Konsum: Dinge reparieren, gebraucht kaufen, weniger Überflüssiges anschaffen.
Wohnen: Dämmen, gemeinschaftlich nutzen, auf klimafreundliche Einrichtung achten.
3. Äußere Schale: Gemeinsam handeln & politisch wirken
Netzwerke: Einer Gruppe beitreten (Energiegenossenschaft, Klimainitiative, Nachbarschaftsprojekt).
Engagement: Sich für Umweltorganisationen stark machen – mit Zeit, Spenden oder Expertise.
Politik: Wählen gehen, Abgeordnete anschreiben, an Bürgerdialogen teilnehmen.
Aktivismus: Demonstrieren, Petitionen unterzeichnen, Projekte initiieren.
Beruf: Prüfen, ob die eigene Arbeit einen Beitrag leisten kann – oder ob ein Wechsel in die „Ökobranche“ Sinn ergibt.
Viel Erfolg! Die Checkliste kannst du dir auch downloaden: