Wenn alle bei sich selber anfangen würden
Klimaschutz privat oder politisch - eine falsche Dichotomie
Erwischt! Wer sich in Diskussionen für irgendeine Form von Klimaschutz einsetzt, wird ganz sicher bald gefragt: „Und wie machst Du das persönlich mit…?“ Dann geht es ums Fliegen, Fleisch essen, Müll trennen etc. Beim Müll geht die Sache für die meisten noch einigermaßen gut aus. Fast alle trennen inzwischen in irgendeiner Form. Ansonsten haben wir doch mehr oder weniger Dreck am Stecken. Wir essen womöglich noch ab und zu Fleisch, wir fahren noch unseren Verbrenner, der Wasserverbrauch ist auch viel zu - ja, wie hoch eigentlich? Ökostrom, ja doch, und ein paar Online-Petitionen haben wir auch schon unterschrieben.
Und ab und zu gibt es in solchen Diskussionen ganz Tapfere bzw. Widerspenstige, die trotzig darauf bestehen, dass ihr persönlicher Fussabdruck überhaupt keine Rolle spiele. Weil doch die Chinesen oder die Überbevölkerung schuld sind, oder eh alles zu spät ist. Und weil das individuelle Handeln nicht relevant ist, sondern die Politik und der Staat im großen Stil umsteuern müssten, wenn das Ganze überhaupt Aussicht auf Erfolg haben soll.
Da haben wir sie wieder, die falsche Dichotomie: Ist individuelles Verhalten der Anfang und damit der Schlüssel für die notwendige Veränderung oder ist diese nur durch systematische, gesamtgesellschaftliche Organisation zu erhoffen?
Persönlich oder politisch, das ist die Frage.
Ab da ist es nicht weit zur Flugscham oder den entsprechenden Vorwürfen, aber auch nicht weit zu den gängigen Ausreden.
Das System ist schuld
Ohne die „Großen“ sind alle gut gemeinten Bemühungen wertlos, meint die Fraktion, die private Verhaltensänderungen für höchstens niedlich hält. Schließlich sind ungefähr hundert Unternehmen auf der Welt für über siebzig Prozent der Emissionen verantwortlich. Ohne diese Giganten und ohne praktisch alle Sektoren der Gesamtwirtschaft, also Energie, Mobilität, Bauen, Industrie, Ernährung ist der persönliche Fußabdruck lediglich ein nettes Accessoire. Überhaupt, dieser Fußabdruck. Das Konzept dafür wurde von BP in die Welt gesetzt, damit wir den Fokus auf uns selber als einzelne Menschen richten und nicht mehr auf die großen Sünder aus der Fossilbranche. Sünder sind sie deswegen, weil sie seit Jahrzehnten ganz genau wissen, wohin die fossile Wirtschaftsweise führt und weil sie dieses Wissen sehr gezielt versteckt, verschleiert und sein Durchdringen verhindert haben.
Jede/-r Einzelne trägt Verantwortung
So lange man mit dem Finger auf andere zeigen kann, aber selber zu keiner Veränderung bereit ist, bleibt man aber tatsächlich unglaubwürdig. Wenn alle mit gutem Beispiel vorangingen, wenn alle ihren Fußabdruck verkleinern würden, wenn alle den Fleischkonsum drastisch reduzieren würden, dann wäre schon mal einiges gewonnen. Außerdem ist die „Abstimmung an der Ladenkasse“ nicht zu unterschätzen. Wir als KonsumentInnen haben Macht. Was wir nicht kaufen, bringt keinen Profit und muss aus dem Regal und damit letztlich aus der Produktion.
Und überhaupt, meint Maren Urner „…dass sämtliche private, pardon, persönliche Alltagsentscheidungen immer auch politisch sind. Weil jede Wahl für oder gegen eine bestimmte Form, zu essen, zu wohnen, zu heizen, zu arbeiten und mich fortzubewegen, andere Menschen und damit unser Zusammenleben betrifft….“ („Radikal Emotional“ 2024)
Also sind sogar die persönlichsten Entscheidungen irgendwie am Ende auch politisch und damit wirksam. Hmm…
Die Einzelnen, die mutig voranschreiten, haben eine Vorbildwirkung, der soziale Druck ist nicht zu unterschätzen. Dazu gibt es einige Forschungen, die berichten, dass sogar PV-Anlagen auf privaten Dächern so etwas wie „ansteckend“ sind. Das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachbarn auch aktiv werden und sich eine Anlage installieren, deutlich zunimmt.
„Es braucht den Mut zum ersten Schritt. Das Aufzeigen eines gangbaren Weges zur Klimaneutralität. Zu Hause und global. Und diese ersten, noch so kleinen Schritte machen Mut. Und je mehr Menschen Mut fassen, desto mehr machen sich auf den Weg und gehen mit in der Veränderung, sind selbst Teil dieser Veränderung…“ (Michael Sterner: „So retten wir das Klima“ 2023)
Nochmal zur Flugscham. Es ist ja wirklich absurd, dass es für Inlandsflüge Steuervergünstigungen gibt, dass wir Inlandsflüge überhaupt noch in einem nennenswerten Ausmaß haben. Aber tatsächlich, die Steuervergünstigungen kann nur der Staat, die Regierung abschaffen. Und die bequemen, schnellen und bezahlbaren Verbindungen mit der Bahn klappen auch nur mit einem oder mehreren Verkehrsministern, die das auch wollen und durchsetzen.
Verantwortung und Schuld gehören zur gleichen Familie
Wer sich ganz persönlich verantwortlich fühlt, wer auch bei seinen ZeitgenossInnen eine persönliche Verantwortung sieht, hat schnell mal auch damit zu kämpfen, sich ungenügend oder gar schuldig zu fühlen.
„Als „Green Guilt“, grüne Schuld, bezeichnen WissenschaftlerInnen das Gefühl, das auftritt, wenn der Versuch, „alles richtig zu machen“ chronisch scheitert. Wenn das eigene Bemühen, Teil der Antwort zu sein, den lähmenden Beigeschmack offensichtlicher Wirkungslosigkeit hat … an den großen Stellschrauben muss trotzdem anderswo gedreht werden. Und dazu braucht es eine Masse, die sich organisiert. Oder, besser noch, indem sie Druck auf der Straße ausübt, in Institutionen und an der Wahlurne. Es reicht einfach nicht, ab und zu mal veganen Käse zu kaufen…“ (Luisa Neubauer / Alexander Repenning „Vom Ende der Klimakrise“ 2019)
Persönlich oder politisch
Persönlich kann ich mir ein Elektroauto kaufen und damit ist wieder eines mehr auf der Straße, das dann - zusammen mit vielen anderen, die man inzwischen sieht - dazu führt, dass das jemand nachmacht. Mit den Ladesäulen ist das dann aber schon eine andere Sache. Da müssen große Player ran, zum Beispiel der Staat, der dafür die Rahmenbedingungen schafft, Gesetze und Verordnungen installiert. Oder die großen und manchmal auch kleinen Unternehmen oder Institutionen, die dann als Betreiber investieren, die Ladekarten verkaufen, die für eine vernünftige Marktdurchdringung sorgen. Das ist nicht alles „politisch“, aber so was wie „systemisch“.
Das Beispiel zeigt allerdings auch gleich, dass nicht jede individuelle Verhaltensänderung so ganz leicht ist. Mal eben eine Elektroauto? Geht ja wohl nicht immer so einfach. Öfter mit dem Fahrrad fahren - das kann klappen. Aber regelmäßige Gewohnheiten in Sachen Mobilität zu ändern, ist alles andere als easy. Ähnlich verhält es sich mit Essen, Wohnen, Konsum und noch einigen anderen Lebensbereichen. Die „grüne Schuld“ hilft da natürlich überhaupt nicht weiter, sondern ist eher kontraproduktiv.
Eine Frage für (fast) alle
Den Konflikt können wir uns vermutlich nicht ganz ersparen. Den Konflikt mit uns selber und mit anderen in der Diskussion, ob das individuelle Verhalten so sehr wichtig ist oder nicht. Ob es uns vielleicht sogar manchmal davon abhält, die wirklich wichtigen Hebel zu suchen.
Einer meiner Lieblings - PodCasts zu Klima-Themen heisst „Outrage and Optimism“. Er wird von drei wirklich kompetenten Leuten moderiert, Christiana Figueres, Tom Rivett-Carnac und Paul Dickinson. Christina Figueres war unter anderem ganz maßgeblich am Erfolg des Pariser Klima-Abkommens beteiligt. Ihr und ihren beiden Kollegen geht es ganz sicher in erster Linie darum, die wirklich ganz großen Hebel zu besprechen. Aber auch diese drei sinnieren in einer Episode vom Oktober 2024 darüber, dass man immer wieder in dieser scheinbaren Zwickmühle stecken bleibt:
„…in the climate movement, we're often stuck in what appears to be a dichotomy between is it about individual action, or is it about systemic change in the system. And sometimes people have quite powerful and heated and emotional arguments with each other about where the solution lies…“
Individuell UND institutionell
Weiter hilft dagegen eine gesunde Mischung, wie so oft im Leben. Auf die großen Entscheidungen haben wir Einfluss, mindestens ein Mal pro Wahlperiode. Aber auch, indem wir zum Beispiel in Institutionen, Firmen, Organisationen arbeiten, die mit „großen Entscheidungen“ zu tun haben. Indem wir ehrenamtlich, politisch oder in einer anderen Weise Engagement an den Tag legen. Manchmal auch, indem wir auf Demos Stellung beziehen oder sonst irgendwie deutlich machen, wie wichtig uns die lebenswerte Zukunft dieses Planeten ist. Oder indem wir spenden, in richtig gute, wirkungsvolle und transparente Kampagnen, die einen größeren Hebel haben als der einzelne Mensch.
Nein, der Einkauf im Bioladen wird nichts wirklich verändern. Stattdessen müssen die großen Player in Politik und Wirtschaft die großen Hebel umlegen. Aber sie werden das nicht tun, wenn sie nicht mitkriegen, dass genügend Leute das gut finden. Wenn sie nicht womöglich von den Leuten dazu gedrängt werden. Sie werden das tun, wenn sie sich genügend Wählerstimmen und KindInnen davon versprechen. Also sind‘s doch wieder am Ende die einzelnen Menschen, die eine Rolle spielen, vor allem wenn sie gemeinsam handeln.
Was tun?
Schauen wir uns die beiden Ebenen noch kurz an, um zu sehen, was jede/- Einzelne tun kann. Zuerst das individuelle, private Verhalten:
Wohnen: heizen, kühlen, duschen etc.
Mobilität: wenig Auto, viel Fahrrad oder ÖPNV
Essen: Bio und regional, wenig Fleisch
Energie: Ökostrom einkaufen, Strom sparen
Konsum: weniger Zeug, langlebige und umweltfreundliche Dinge
Und auf der politischen, systemischen Ebene gibt es auch ein paar wenige, aber extrem wichtige Stellschrauben:
Wählen: aber die richtigen Parteien
Einkaufen: Abstimmung an der Ladenkasse
Arbeiten: für eine nachhaltige Branche oder Firma
Spenden: für wirksame und engagierte Organisationen
Lernen, reden, sich mit anderen zusammen tun
Was gilt gar nicht?
Nichts tun, Resignation, Fatalismus, Depression
Danke für deinen Mut und das Engagement dich zu diesem wichtigen Thema zu outen!