Climate Fiction (2)
Was Geschichten können, wenn Fakten nicht mehr reichen.
Was kann Literatur in der Klimakrise leisten – und wo sind ihre Grenzen? Dieser Artikel gehört zu einem Gespräch mit Kathrin Lange, das auf dem Podcast der Klimakolumne in ganzer Länge zu hören ist, und das ich sehr empfehlen will.
Kathrin Lange hat gemeinsam mit der Mikrobiologin Susanne Thiele den Wissenschaftsthriller „Toxin“ geschrieben – einen Roman über tauenden Permafrost, freigesetztes CO₂ und Kipppunkte, die lange abstrakt wirkten und inzwischen erschreckend konkret geworden sind. Ich habe dieses Buch bereits in einem früheren Text zum Thema Climate Fiction zitiert.
Wir haben im Podcast unter anderem über folgende Fragen diskutiert:
Wie erzählt man von der Klimakrise, ohne belehrend zu werden?
Wie viel Wissen verträgt eine Geschichte?
Kann Literatur überhaupt etwas „bewirken“ – oder überfordern wir sie mit dieser Erwartung?
Thriller statt Traktat
Toxin ist natürlich kein Roman, der mit Thesen oder mit Ideologie beginnen würde. Er beginnt mit einer Geschichte – und mit Spannung. Der Weg ins Klimathema führte bei Kathrin Lange nicht über politische Programmatik, sondern über Recherche:
„Wir sind über die Mikrobiologie ins Thema gekommen. Anfangs ging es um alte Krankheitserreger im Permafrost. Aber relativ schnell wurde klar: Die viel größere Gefahr ist das CO₂, das beim Auftauen freigesetzt wird.“
Diese etwas wissenschaftsnahe Perspektive prägt den Ton des Buches. Toxin ist kein dystopischer Zukunftsroman, sondern ein Gegenwarts-Thriller. Die Klimakrise ist nicht Kulisse, sondern treibende Kraft der Handlung – und zugleich etwas, das sich leise, aber unausweichlich in den Alltag schiebt. Tatsächlich hat mich die Story gepackt, obwohl ich kein typischer Krimi- oder Thrillerleser bin.
Kathrin Lange betont im Interview allerdings immer wieder, dass Spannung kein Selbstzweck ist, sondern ein Mittel:
„Meine erste Motivation ist, spannend zu unterhalten. Wenn jemand das Buch weglegt und sagt: Ich konnte nicht aufhören zu lesen – und habe nebenbei etwas gelernt, dann ist das ideal.“
Damit benennt sie eine zentrale Gratwanderung der Climate Fiction: zwischen Erzählen und Erklären, zwischen Literatur und Aktivismus.
Wie belehrend darf Literatur sein?
Kaum ein Genre steht so unter Rechtfertigungsdruck wie Climate Fiction. Immer schwingt die Frage mit: Will dieses Buch mir etwas beibringen? Will es mich überzeugen oder missionieren?
Kathrin Lange ist sich dieser Gefahr sehr bewusst:
„Es ist immer heikel, wenn man merkt: Die Autorinnen wollten mir jetzt etwas sagen, mich belehren. Dessen muss man sich beim Schreiben ständig bewusst sein – und versuchen, es zu vermeiden.“
Gleichzeitig stellt sie klar: Ganz ohne Wissen geht es nicht. Der Klimawandel ist kein metaphorisches Thema, sondern ein hochkomplexer physikalischer Prozess. Die Frage ist also nicht, ob Wissen in die Literatur darf – sondern wie.
Toxin entscheidet sich für ein implizites Modell: Die Fakten sind da, aber sie werden nicht doziert. Sie tauchen in Dialogen auf, in Konflikten, in Entscheidungen. Das Wissen ist Teil der Handlung, nicht ihr Ersatz.
Nähe statt Weltuntergang
Ein weiteres Motiv unseres Gesprächs ist die Skepsis gegenüber großen Katastrophenszenarien. Kathrin Lange meint, dass extreme Weltuntergangsbilder oft eher abstumpfen als mobilisieren.
„Ich glaube, man erreicht mehr über persönliche Schicksale, als über das nächste globale Untergangsszenario.“
Das ist ein Gedanke, der sich auch in anderen Werken der Climate Fiction findet – etwa in „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde oder „Blue Skies“ von T.C. Boyle. Nicht der schnelle Kollaps steht im Mittelpunkt, sondern die schleichende Veränderung: Hitze, Verlust, Unsicherheit.
Literatur wird also so etwas wie eine Übersetzungshilfe. Sie macht aus abstrakten Risiken konkrete Erfahrungen.
Dystopie, Entlastung – und das Danach
Im Interview spricht Kathrin Lange auch über ein strukturelles Phänomen vieler Katastrophenerzählungen: die psychologische Entlastung.
„Wie im Krimi: Es passiert etwas Schreckliches, und am Ende ist der Status quo wiederhergestellt. Das entlastet uns.“
Für die Klimakrise ist dieses Muster problematisch, hier funktioniert das nicht so leicht. Denn sie kennt kein klares „Danach“, in dem alles wieder gut ist. Toxin verweigert deshalb einfache Auflösungen. Die Bedrohung bleibt – und damit auch die Verantwortung.
Ähnlich klingt das auch in anderen aktuellen literarischen Debatten. In einem Interview in der ZEIT beschreibt die Autorin Fiona Sironic das Schreiben als Ventil für Ohnmacht. Ihre Debut-Roman heißt: „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“, und diese Geschichte ist eine Klimadystopie. Damit hat es die Autorin bis in die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025 geschafft.
Die Sachen, die in die Luft gejagt werden sollen, sind übrigens Serverfarmen.
Das Thema Klima hat ja derzeit alles andere als Konjunktur. Man erntet nur allzu oft ein Augenrollen. Das merken Kathrin Lange und Susanne Thiele zum Beispiel auch daran, dass ihr Verlag einen Nachfolger von Toxin derzeit nicht mehr ins Programm nehmen möchte.
Fiona Sironic allerdings erzählt von ihren diesbezüglichen Erfahrungen erstaunlicherweise etwas anderes:
„…Tatsächlich erfahre ich im Rahmen meiner Lesungen gerade eine überraschende Offenheit für die Themen des Romans, auch für die gezeichnete Klimakatastrophe, was mich ein bisschen beruhigt. Ich muss keine Tatsachendiskussionen führen. Vielleicht ist es gerade auch leichter, mit einem Roman Aufmerksamkeit für das Thema zu gewinnen als mit einem Sachbuch…“
Ist es nicht verrückt, wie sich unsere Kriterien verschoben haben. Wir sind schon froh, wenn wir keine Tatsachendiskussionen führen müssen. Wenn also niemand im Publikum sitzt, der die sehr eindeutigen wissenschaftlichen Befunde der Klimaforschung in Zweifel zieht und sich damit zum Handlanger der fossilen Protagonisten macht.
Kann Literatur etwas bewirken?
Diese Frage zieht sich durch das gesamte Gespräch mit Kathrin Lange. Und sie bleibt offen.
„Diese Vorstellung, man schreibt ein Buch und rettet damit die Welt – die ist natürlich da. Aber so einfach ist es nicht.“
Kathrin Lange erinnert an historische Beispiele wie Onkel Toms Hütte. Auch dort habe das Buch allein nichts bewirkt, sondern sei Teil eines gesellschaftlichen Moments gewesen, der bereits in Bewegung war. Es war einfach Zeit für die Abschaffung der Sklaverei, der Roman war einer der letzten nötigen Auslöser.
Literatur wirkt selten direkt. Sie verändert keine Emissionen. Aber sie kann Wahrnehmungen verschieben, Gespräche ermöglichen, innere Prozesse anstoßen. Vielleicht ist das nicht wenig – in einer Zeit, in der viele sich innerlich bereits zurückgezogen haben.
Fazit: Geschichten als Möglichkeitsräume
Climate Fiction ist kein Ersatz für Wissenschaft und keine Abkürzung zur politischen Lösung. Aber sie kann etwas, das Zahlen allein oft nicht schaffen. Sie kann Nähe herstellen. Sie kann Unsicherheit aushalten. Und sie kann - hoffentlich - dazu beitragen, dass wir uns emotional aus der Krise verabschieden.
Kurz zusammengefasst:
Climate Fiction ergänzt wissenschaftliches Wissen durch Erfahrung.
Gute Klima-Literatur vermeidet Belehrung und setzt auf erzählerische Nähe.
Zwischen Dystopie und Utopie entstehen neue Formen des Erzählens.
Literatur wirkt indirekt – aber genau darin liegt ihre Stärke.
Was du tun kannst:
Schreiben und Lesen, der Austausch von Geschichten und die Verarbeitung der ökologischen Themen in diesen Geschichten - all das können kleine Dominosteine sein. Lesen heißt ja auch immer Lernen, heißt oft auch darüber Sprechen, und das ist dann ein weiteres Dominosteinchen auf dem Weg in eine enkeltaugliche Zukunft. Ob du damit gerade am weihnachtlichen Tisch mit den Verwandten anfängst, ist eine andere Sache. Was du aber auf jeden Fall tun kannst, habe ich in einer kleinen Übersicht zusammengestellt, die ich hier nochmal anbieten will.
Dabei sind deine Handlungsmöglichkeiten in drei Zwiebelschalen von innen nach außen angeordnet.
innere Schale:
was kann ich ganz persönlich in meinem direkten Umfeld bewirken, zum Beispiel durch Lernen, Lesen und gemeinsam Nachdenken ?mittlere Schale, Alltag und Konsum:
wie kann ich durch meine konkrete Lebensweise Einfluss nehmen (Mobilität, Konsum, wohnen etc.)äußere Schale:
gemeinsam handeln, politisch wirken. Aktiv werden in Verbänden, Gemeinden, Parteien, größere Hebel beeinflussen.
Danke an alle LeserInnen und HörerInnen für euer Interesse und euer Engagement im ablaufenden Jahr. Die nächste Ausgabe der Klimakolumne gibt es dann am 12. Januar 2026. Ich habe ein anregendes Gespräch mit Jürg Vollmer geführt (Food Revolution), es geht um Landwirtschaft und Ernährung und die Klimakrise.
Bis dahin wünsche ich allen gesunde und geruhsame Feiertage und einen guten Rutsch in ein Jahr 2026, das uns hoffentlich wieder positive Klimanachrichten bringt.




