Postwachstum, grünes Wachstum, grünes Schrumpfen - wo geht die Reise hin?
Wenn ich draußen in der Natur bin, ist klar, dass alles, was wächst, auch wieder vergeht. Das Leben verläuft zyklisch.

„Die Grenzen des Wachstums“ wurden 1972 von Donella und Denis Meadows veröffentlicht. Spätestens, allerspätestens seit diesem Bericht des Club of Rome ist der Gedanke unterwegs, dass ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum in einer begrenzten Welt nicht möglich ist.
Andererseits hat menschliche Kreativität schon so viele Grenzen überschritten und so starke Ketten gesprengt, dass viele daran glauben, dass „alles“ möglich sei.
Irgendwo in dieser Gemengelage wabert die öffentliche Diskussion darüber, ob wir mit grünen Technologien einfach weiter wachsen können, nur eben ohne schädliche Emissionen. Oder ob wir unseren Konsum und damit auch die Produktion erheblich zurückfahren müssen, weil jede Produktion Emissionen nach sich zieht. Und ganz ehrlich, ich bin auch ab und zu hin und her gerissen und finde immer wieder andere Perspektiven auf diesem Spektrum. Schauen wir uns also die pointiertesten Positionen an:
Grünes Wachstum:
Elektroauto statt Verbrenner, Wärmepumpe mit grünem Strom, grüner Wasserstoff in energieintensiven Produktionszweigen - und weiter kann alles gehen wie bisher. Hauptsache, wir hören auf, Zeug zu verbrennen (Kohle, Öl, Gas). Neue Technologien helfen uns dabei, echte Alternativen zu entwickeln, emissionsfrei Güter zu produzieren und uns von A nach B zu bewegen. Diese „Transformation“ soll dabei neue Chancen eröffnen, sie soll die Tür sein in ein neues, aber unschädliches marktwirtschaftliches Zeitalter. Was dabei allerdings unbedingt klappen muss, ist eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Treibhausgasemissionen. Das heißt, wir müssten das Sozialprodukt weiter steigern, aber gleichzeitig die Emissionen zurück fahren.
Dazu kommen wir später noch mal.
Postwachstum
Die Ressourcen sind endlich, wir haben nur diese eine Erde, und ausserdem sind die Kriterien für Wachstum und Wohlstand schon lange zu einseitig. Das Bruttosozialprodukt misst nur einen kleinen Ausschnitt, es hat als alleiniger Indikator für Wohlbefinden in einer Gesellschaft ausgedient. Mit weniger Dingen, weniger Mobilität, stattdessen mit mehr Fokus auf Natur, Kultur und Soziales, so kommen wir wirklich vorwärts, und zwar in einem zutiefst menschlichen Sinn.
„Die Wachstumsparty ist vorbei. Nur der Rückbau des Industriemodells zu einer Postwachstumsökonomie ermöglicht sozial stabile und global faire Versorgungsstrukturen.“ So klingt das beim Zukunftsinstitut (2022). Der Autor, Prof.Dr. Niko Paech ist einer der Vorreiter der Postwachstumsökonomie. Er plädiert für handwerkliche Ergänzungsleistungen und kooperative Formen der Selbstversorgung.
Und für eine gemeinschaftliche und verlängerte Nutzung von Gebrauchsgegenständen. Verschenkmärkte, Tauschbörsen, offene Werkstätten und Reparatur-Cafés sind einige der Bausteine für eine entsprechende Gesellschaft.
Klingt irgendwie naiv und niedlich, oder? Klingt nach Selbstversorger-Träumerei, nach Rückzug, nach Rückwärts-Orientierung?
Wirklich jetzt?
Wer auch immer mitten im Job steht, wer Verantwortung trägt, wer sich anstrengt und abmüht für die Erreichung von Zielen, oder auch für die Abwehr von Risiken und Problemen, wer also so richtig, richtig viel zu tun hat, egal ob bezahlte oder unbezahlte Arbeit, der wird vermutlich sagen: dream on, schön wär‘s, und wo soll dann die Versorgung herkommen?
Die Versorgung mit wichtigen Gütern, mit Dienstleistungen, die am Ende alle brauchen, und ja, auch mit dem Luxus, den wir hier doch auch alle ab und zu mal geniessen wollen, und den wir doch auch verdient haben.
Was sind „wichtige“ Güter und Dienstleistungen, wäre hier zu fragen. Und mit welchen Risiken und Nebenwirkungen kommen sie daher? Was wird denn alles mit dieser ach so wichtigen und wertvollen Arbeit erwirtschaftet, und, nur mal so nebenbei gefragt, was machen die vielen Menschen, die nicht in den Genuss von all diesen Segnungen kommen können.
Nein, damit meine ich nicht „die Kinder in Afrika, die alle hungern“, während wir unsere Suppe nicht aufessen wollen.
Suffizienz
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen meint dazu:
„Dass sich die Wende zur Nachhaltigkeit allein durch Innovation und Technologie realisieren lässt, ist eine Hypothese, für die es keine ausreichende Evidenz gibt – im Gegenteil spricht vieles dagegen.“
Dieser Rat ist mit viel Kompetenz besetzt und berät die Bundesregierung, ist also durchaus ernst zu nehmen. Wenn nach deren Meinung vieles dagegen spricht, dass wir nur mit neuer Technik und grünem Wachstum an größeren Einschränkungen nicht vorbei kommen werden, sollten wir nachdenken.
Das Zitat stammt übrigens aus einem Paper vom März 2024 mit dem Titel „Suffizienz als „Strategie des Genug“. Eine Einladung zur Diskussion“. Klingt auch nach Verzicht, nach Verbot womöglich, nach Weniger, nach Rückschritt? Schauen wir uns den Begriff „Suffizienz“ kurz genauer an.
„Das Wuppertal Institut definiert Suffizienz als Strategie zur Reduktion von Konsum- und Produktionsniveaus durch die Veränderungen sozialer Praktiken. Ziel ist, durch nachhaltige Konsummuster einerseits die ökologischen Grenzen einzuhalten und andererseits allen Menschen die Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu ermöglichen. Effizienz und Konsistenz verhelfen dazu, die Dinge richtig zu tun, Suffizienz aber die richtigen Dinge zu tun. Um die Klimaschutzziele zu erreichen und ohne Gefahr zu laufen, dass es zu Problemverschiebungen kommt, müssen die Suffizienzpotenziale und deren Umsetzungsmöglichkeiten viel stärker als bisher in den Blick genommen werden.“
Auf deutsch: ES IST ZU VIEL !
Effizient ist es also, möglichst viele Autos durch Elektroautos zu ersetzen. Suffizient wäre es, die Anzahl der Autos zu verringern. Wir sehen den Konflikt deutlich, wenn es heißt, die ökologischen Grenzen einzuhalten und gleichzeitig die Bedürfnisse zu befriedigen. Dass das auseinanderfällt, ist ja gerade des Pudels Kern.
Wachstum ohne Nebenwirkungen
Wir hatten weiter oben schon kurz drüber gesprochen. Kann weiteres Wachstum auch ohne schädliche Emissionen gelingen (und auch ohne den uferlosen Verbrauch von Ressourcen)? Kann die Entkopplung von BIP und Emissionen funktionieren?
Tatsächlich kann man an manchen Stellen beobachten, dass die Wirtschaft wächst, aber die Emissionen zurück gehen. Zumindest sieht das so aus, wenn man das Szenario in En-ROADS, dem Klimasimulator anschaut. Das kommt daher, dass Technologien effektiver werden. Und wenn sie „grüner“ werden, sinkt auch die sogenannte „Kohlenstoffintensität“. Grundsätzlich kann also so was wie die Entkoppelung klappen, aber ob das schnell und weit genug geht, steht noch auf einem ganz anderen Blatt.
Und noch was: selbst wenn wir uns zum Umstieg vom Wachstumspfad auf eine „Schrumpfung“ oder ähnliches entschliessen würden, ist der Weg natürlich ein Riesenproblem. Weil dieser Umstieg viele Opfer kostet und Konflikte mit sich bringt. Und weil einige unter uns durchaus noch berechtigten Anspruch auf einen Anstieg ihres Lebensstandards haben:
„... haben Sie eine Ahnung, wie viele Menschen in London kein Essen auf den Tisch kriegen? Wie viele Kinder hungern, weil ihre Eltern die Arbeit verloren haben? Da reicht es nicht, auf den Neoliberalismus zu schimpfen. Da muss man sich die Hände schmutzig machen und realen Wandel für ein anderes Wachstum schaffen. Das ist übrigens deutlich einfacher, als die Wirtschaft spürbar zu schrumpfen.“ So schreibt die Ökonomin Mariana Mazzucato (ZEIT Nr 29 / 2020)
Weniger ist mehr
Gehen wir trotzdem mal davon aus, dass wir uns zu einem Umstieg entschliessen könnten. Ulrike Herrmann schreibt in ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ (2023), dass wir hier in Deutschland ungefähr auf ein Konsumniveau schrumpfen müssten, das wir Mitte der siebziger Jahre hatten.
Damals war ich gerade ein junger Mann, und ich kann berichten: das Leben war durchaus in Ordnung, wenn man mal von den typischen Problemen dieser Altersphase absieht. Die Menge an Gütern, das Konsumlevel war ganz sicher das kleinere Thema. Und die eigentliche Frage ist ja vermutlich eine ganz andere:
„die Industrieländer stehen vor einer Alternative, die eigentlich keine ist. Entweder sie verzichten freiwillig auf Wachstum - oder die Zeit des Wachstums endet später gewaltsam, weil die Lebensgrundlagen zerstört sind“ (Ulrike Herrmann s.o.)
Oder wie Wolfgang Sachs (Soziologe und Theologe) in der ZEIT vom 24.06.2024 schreibt:
„Das Ziel, allen ein menschenwürdiges Leben auf einem begrenzten Planeten zu ermöglichen, wird nur zu erreichen sein, wenn wir das Wachstum auch materiell wie energetisch abflachen, die Luxusbedürfnisse abbauen und so das Gemeinwohl nicht mehr allein ökonomisch definieren.“
Und sollten wir bei dieser Herkuslesaufgabe scheitern, sagt er uns voraus
„… dann gibt es nicht den Wandel durch Design, sondern den Wandel durch Desaster“
Also ich für meinen Teil weiß, welche Variante ich bevorzuge. Wie ist das bei Dir?
Allein wie im vergangenen Bundestagswahlkampf die in den letzten drei Jahren nur ganz schwach gewachsene deutsche Wirtschaft als enormes Problem dargestellt wurde läßt auf noch massivere Reaktionen von Bevölkerung und Parteien im Falle wirklichen Schrumpfens schließen.
Populistische Gruppen schaffen es Wahrheiten zu verdrehen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu negieren und bedeutende internationale Abkommen als quasi nicht existent darzustellen.
Laufend werden sicher geglaubte Schritte im Kampf gegen den Klimawandel wieder infrage gestellt. Das ist sehr zermürbend.
Allerdings machen mir die zahlreichen Demonstrationen gegen Populismus und Rückwärtsgewandtheit vor der Wahl auch Mut und Hoffnung darauf,
dass viele Gleichgesinnte zusammen weiterkämpfen.
Um ökologische Grenzen einzuhalten und eine nachhaltige Zukunft zu gestalten, ist dies m.E. mit erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen- und oder Konflikten verbunden.
Die Frage, die sich mir stellt: Ob dieser Abbau an Wachstum freiwillig und gestaltet oder erzwungen durch Krisen und "Desaster" erfolgen wird? Ich denke leider Letzteres.