Wenn der Bösewicht den Gerichtssaal als freier Mensch verlassen kann, weil er aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden musste, wenn gleichzeitig alle Beteiligten wissen, dass er’s war, dass er eigentlich schuldig ist - dann ist man enttäuscht, sauer, traurig, wütend.
Wir hoffen sehr, dass das Gericht für Gerechtigkeit sorgt, dass die Bösen erwischt und bestraft werden, dass der Rechtsstaat funktioniert. Wenn allerdings, wie wir aktuell in den USA beobachten müssen, die Gewaltenteilung in Frage steht und mit ihr die Rechtsstaatlichkeit, dann befinden wir uns ganz schnell auf einem sehr schwankenden Boden. Die Eckpfeiler des Zusammenlebens von Menschen hängen davon ab, dass wir ein funktionierendes Rechtssystem haben.
Und wie ist das jetzt mit der Klima-Gerechtigkeit? Die Anzahl an sogenannten „Klimaklagen“ steigt rasant, das eine oder andere Urteil fällt auch so aus, dass man Hoffnung schöpfen möchte, doch nach wie vor verlassen die Bösewichte zu oft ungeschoren den Gerichtssaal.
Wie sind diese Klagen einzuordnen? Was dürfen wir uns von ihnen erwarten, und welche Rolle können und müssen die Gerichte im Kampf gegen die Klimakatastrophe spielen?
Wenn Gesetze nicht genügen: Die Justiz als Klimaschützerin
Politische Prozesse sind langsam, oft erlahmt der Ehrgeiz nach der Wahl gleich wieder. Interessen der Wirtschaft bremsen den Wandel: Fossile Konzerne investieren Milliarden in Lobbyismus, um strengere Regeln zu verhindern. Der US-Senator Sheldon Whitehouse nennt das „die größte Kampagne politischer Einmischung in der Geschichte der USA“. Auch in Deutschland beobachten Umweltorganisationen den Einfluss von Industrielobbys mit Sorge, diverse Thinktanks liefern brav den ideologischen Hintergrund
Das Rechtssystem hingegen folgt anderen Prinzipien: Verfassungen garantieren Grundrechte – auf Leben, Gesundheit, Eigentum. Und sie definieren Pflichten: die Umwelt zu schützen, künftige Generationen nicht zu belasten. Gerichte haben die Macht, Versäumnisse der Politik zu korrigieren. Aber wie weit reicht dieser Hebel wirklich?
Der Aufstieg der Klimaklagen: Ein globales Phänomen
Weltweit steigt die Zahl der Klimaklagen rapide. Bis 2017 gab es rund 850 Prozesse, aktuell sind es fast dreitausend, die in Arbeit sind. Manche richten sich gegen Staaten, um ambitioniertere Klimaziele zu erzwingen. Andere gegen Konzerne, um diese für Klimaschäden haftbar zu machen oder Greenwashing zu unterbinden. Auf der Seite der „Columbia Law School“ gibt es einen gut gepflegten Überblick über alle Gerichtsfälle, die weltweit derzeit zu Klimathemen behandelt werden.
Wir schauen uns im Folgenden mal ein paar der spektakulärsten Fälle an.
Deutschland: Der bahnbrechende Karlsruher Richterspruch
Im April 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht Teile des Klimaschutzgesetzes für verfassungswidrig. Die Begründung: Die Politik verschiebe zu viel Last auf künftige Generationen – ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Die Regierung musste nachbessern und hat dies nach dem Urteil auch recht schnell erledigt. Ein historisches Urteil. Und doch: Viele der damaligen Kläger sind weiterhin unzufrieden. Die Emissionsziele wurden zwar erhöht, aber reichen sie wirklich? So hat zum Beispiel die Nachfolgeregierung gleich wieder Teile zurückgenommen, etwa die Verbindlichkeit der einzelnen Sektorenziele. Der Verkehrssektor darf weiterhin seine Emissions-Ziele verfehlen, die Auto-Lobby hat kräftig und erfolgreich mitgewirkt. (Stichwort: Dauerbrenner „Tempolimit“).
Eine neue Verfassungsbeschwerde wurde eingereicht und ist derzeit unterwegs, und es wird sehr spannend, wie das diesmal weitergeht.
Einen ausführlichen Einblick bekommt man im Webinar der Serie „Europe calling“ mit Felix Ekardt, einem der führenden Juristen hinter der Klimaklage
Schweiz: Die Klimaseniorinnen und das Menschenrecht auf Klimaschutz
Im April 2024 gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einer Gruppe älterer Frauen recht: Die Schweiz hat nicht genug gegen die Klimakrise unternommen – und damit gegen die Menschenrechte verstoßen. Das erste internationale Urteil, das Klimaschutz als Menschenrechtsfrage anerkennt.
Otmar Edenhofer, der Chef des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung hat sich dazu geäußert:
„Mit seiner jüngsten Rechtsprechung hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Kernfrage der internationalen Klimapolitik – der Frage nach der Verantwortung – geäußert. Dass das Gericht dem Verein der Schweizer KlimaSeniorinnen Recht gegeben und unzureichende Klimapolitik als menschenrechtsverletzend anerkannt hat, ist bahnbrechend. Dieses Urteil sollte auch andere Staaten an ihre internationalen Verpflichtungen erinnern: Wer sich Klimaziele setzt, ist dafür verantwortlich, diese einzuhalten”
Peru gegen RWE: Ein Bauer fordert Verantwortung
Saúl Luciano Lliuya, ein peruanischer Kleinbauer, klagt gegen den deutschen Energiekonzern RWE. Seine Stadt Huaraz droht von einer Gletscherflut zerstört zu werden. RWE habe als großer Emittent eine Mitschuld. Klingt absurd? Nicht für das Oberlandesgericht Hamm, das den Fall in die Beweisaufnahme ließ. Ein Durchbruch: Zum ersten Mal wird die Verantwortung eines Konzerns für globale Klimaschäden juristisch geprüft.
Auf der Website, die speziell für diesen Fall eingerichtet heißt es:
„Am 17. und 19. März fand die mündliche Verhandlung am Oberlandesgericht Hamm statt. Dabei ging es um die erste Beweisfrage: ob das Grundstück des Klägers Saúl von einem Flutrisiko betroffen ist. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung erneut deutlich gemacht: Große Emittenten können für Klimarisiken haftbar gemacht werden. Eine Entscheidung, ob auch im konkreten Fall von Saúl RWE haftbar gemacht werden kann, wird am 14. April erfolgen.“
Da geht’s also sehr bald weiter…
Kalifornien: Das kann teuer werden
Der US-Bundesstaat Kalifornien hat im September 2023 Klage gegen fünf der weltweit größten Ölkonzerne – Exxon Mobil, Shell, BP, ConocoPhillips und Chevron – sowie gegen den Industrieverband American Petroleum Institute (API) eingereicht. Der Vorwurf lautet, dass diese Unternehmen über Jahrzehnte hinweg die Öffentlichkeit über die Risiken fossiler Brennstoffe getäuscht und dadurch Umweltschäden in Milliardenhöhe verursacht haben.
Kamala Harris, die frühere Vizepräsidentin der USA, war in ihrer Rolle als Generalstaatsanwältin von Kalifornien aktiv im Umweltrecht tätig. Sie führte Klagen gegen große Öl- und Gaskonzerne wegen Verstößen gegen Umweltschutzvorschriften und setzte sich für Initiativen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen ein. Beispielsweise zwang sie Unternehmen wie Chevron und BP zur Zahlung von Strafen in zweistelliger Millionenhöhe an die kalifornische Staatskasse.
Die Waldbrände des letzten Jahres verschärfen den Konflikt natürlich, aktuell hat Kalifornien auch alle Hände voll damit zu tun, die eigene Umweltgesetzgebung „trumpsicher“ zu machen.
New York: Die Fossil-Staaten wehren sich
Ende 2024 hat Gouverneurin Kathy Hochul den sogenannten „Climate Change Superfund Act“ unterzeichnet, der New York zum zweiten Bundesstaat des Landes macht, der von Unternehmen für fossile Brennstoffe Schadensersatz für Klimaschäden verlangt. Das Gesetz soll über 25 Jahre 75 Milliarden US-Dollar von den Öl- und Gasunternehmen einbringen, die am meisten für die Klimakrise verantwortlich sind, und mit diesem Geld wichtige Klimaanpassungs- und Resilienzprojekte im ganzen Bundesstaat finanzieren. Eine riesige Summe, die selbst den superreichen Öl-Multis weh tun dürfte. Allerdings zeichnen sich auch hier Interventionen der Trump-Regierung ab, die das ganze Vorhaben noch umwerfen sollen.
Hoffnung oder Illusion? Die Grenzen der Justiz
Klimaklagen setzen also sowohl Staaten als Unternehmen unter Druck. Sie schärfen das Bewusstsein für Verantwortung. Aber:
Prozesse dauern Jahre – Zeit, die wir eigentlich nicht haben.
Urteile müssen umgesetzt werden, doch Regierungen und Konzerne weichen sie oft auf oder umgehen sie.
Das Rechtssystem allein kann die Klimakrise nicht lösen. Ohne politischen und gesellschaftlichen Wandel bleibt es Flickwerk. Und für politischen Wandel braucht’s gesellschaftlichen Druck, braucht’s öffentliche Meinung, das heißt uns alle.
Wirklich ALLE !
Fazit: Eine Waffe im Kampf um die Zukunft
Klimaklagen sind kein Allheilmittel, aber sie sind ein mächtiges Werkzeug. Sie zwingen Politik und Wirtschaft zum Handeln. Sie geben BürgerInnen eine Stimme. Und sie können ein Umdenken bewirken, das weit über Gerichtssäle hinausreicht.
Selbst wenn die Bösewichte auch auf diesem Gebiet leider oft ohne ihre gerechte Strafe davon kommen, weil sie zu viel Einfluss, zu viel Geld und damit oft zu viel Macht haben. Trotzdem sind alle, die sich um nachfolgende Generationen Sorgen machen und diesen einen bewohnbaren Planeten hinterlassen wollen, einfach mehr. Viel mehr.
Na dann mal los ….
Danke für den interessanten Artikel!
Ähnliches erleben wir im Artenschutz und Gewässerschutz in Österreich. Bei Interesse können wir uns gerne einmal dazu austauschen.
https://www.wwf.at/das-schuetzen-wir/bedrohte-arten/artenschutz-in-oesterreich/#:~:text=Nature%20Advocacy&text=Das%20erm%C3%B6glicht%20dem%20WWF%2C%20gemeinsam,unserer%20Sicht%20EU%2Drechtswidrig%20sind.