Klimaschutz ist nicht alles
…aber ohne Klimaschutz ist alles nichts. Warum wir trotz Krieg, Krisen und Chaos nicht aufhören dürfen, fürs Klima zu kämpfen.
Opus 45 ist ein inspirierendes Projekt. Der Schauspieler Roman Knižka trägt szenisch Texte vor, dazu spielt ein Bläserquintett. Ich durfte das Programm kürzlich “genießen”, während und nach der Vorstellung sind mir einige Gedanken durch den Kopf gegangen, die ich hier teilen möchte.
Das Wort “genießen” habe ich in Anführungszeichen gesetzt, weil das Program kein Unterhaltungsthema ist. Die KünsterInnen sind alle absolut hochkarätig. Das Programm, das hier in Regensburg geboten wurde, trägt den Titel: “Dass ein gutes Deutschland blühe”. Es ist eines von mehreren Programmen, die von der Gruppe aufgeführt werden.
„Der Schauspieler Roman Knižka liest unter anderem Texte von Bertolt Brecht, Erich Kästner, Paul Celan und Mascha Kaléko. Das Bläserquintett OPUS 45 spielt Musik von Komponisten, die zu Opfern der NS-Diktatur und des Holocaust wurden, u.a. Alexander Zemlinsky, Pavel Haas, Erwin Lendvai, Robert Kahn und Luise Greger.“
„Den Nazis eine schallende Ohrfeige versetzen!“
so heißt das Haupt-Programm und auch der dazugehörende Film der Gruppierung.
Eingeführt wird die jeweilige Vorstellung oft durch Texte mit konkretem Lokalbezug, in meinem Fall also Texte zur Geschichte Regensburgs in den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs und danach.
Wichtiger Stoff, wenn auch kein leichter Stoff. Die Inhalte und die Emotionalität der Musik haben mich aufgewühlt, sie haben meine Sorgen aktualisiert, dass wir womöglich derzeit wieder den Anlauf einer vergleichbaren Entwicklung erleben. Die Populisten, Diktatoren und Schwarzweißmaler haben scheinbar Oberwasser, auf der ganzen Welt und auch bei uns.
Und ich beschäftige mich einen Großteil meiner Zeit mit einem anderen Thema, mit der Klimakatastrophe.
Und was hat das mit dem Klima zu tun?
Das Klima hat bei mir so eine Priorität, weil es eine Art “Metathema” ist.
Kriege, Despoten, Pandemien und ähnliche Desaster sind dann doch immer noch irgendwann wieder vergangen, die Folgen der Klimakrisen werden ziemlich lange Zeit nicht mehr vergehen. Deshalb diese meine Priorisierung.
Bei Opus45 ging mir allerdings durch den Kopf:
“Klimaschutz ist mit Nazis und anderen Populisten nicht zu machen”.
Ist also nicht vorher die politische Entwicklung zu berücksichtigen, müsste diese nicht eine Art Vorrang haben?
Man sieht und hört bei Trump, Putin, AfD und vergleichbaren Zeitgenossen, dass sie nicht annähernd kapieren wollen, welche Rolle die Erwärmung der Atmosphäre spielt. Sie machen sich lustig über die Wissenschaft, sie stecken den Kopf in den Sand oder kultivieren eine der anderen Varianten, das Problem nicht ernst nehmen zu müssen.
Müsste man also nicht zuerst für demokratische, aufgeklärte und konstruktive Verhältnisse kämpfen, damit der Klimaschutz überhaupt eine Chance hätte? Sollte ich meine persönlichen Prioritäten überdenken?
Oder ist es vielleicht das Artensterben, das ganz oben auf diese Liste gehört? Oder die Gerechtigkeitsfragen? Oder der Plastikmüll? Wir alle haben nur begrenzte Kapazitäten, und irgendwie hängt alles mit allem zusammen, und was macht unter diesen Umständen überhaupt Sinn?
Alles mit allem
Es gibt einige Konzepte, die dieses “Alles hängt mit allem zusammen” gut beschreiben und modellieren. Diejenigen, die für mich sehr hilfreich sind, will ich hier kurz aufgreifen:
Earth4All (Club of Rome, 2022)
Der jüngste Bericht an den Club of Rome (2022) hat den Untertitel “Ein Survivalguide für unseren Planeten” und präsentiert zwei mögliche Zukünfte:
„Too Little Too Late“: wir sind zu langsam und zu zaghaft bei der notwendigen Transformation.
„Giant Leap“. Wir schaffen den notwendigen Umstieg - auf allen Ebenen.
Das Modell zeigt, wie soziale Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung und Klimaschutz nur gemeinsam gelingen können – durch tiefgreifende Systemveränderungen in fünf Schlüsselbereichen (u.a. Energie, Ernährung, Ungleichheit).
Mit “Empowerment” ist bei diesem wichtigen Bericht übrigens vor allem das Empowerment der Frauen weltweit gemeint
“Wenn Frauen besseren Zugang zu Bildung, wirtschaftlichen Möglichkeiten, menschenwürdigen Arbeitsplätzen und allen damit einhergehenden Lebenschancen haben, führt dies zu gesünderen, stärkeren und resilienten Gesellschaften”
Es betont: Einzelkrisen sind Symptome eines tiefer liegenden Systemversagens. Ohne Systemwechsel kein Klimaschutz – aber auch keine stabile Gesellschaft.
Donut-Modell (Kate Raworth)
Das Donut-Modell verbindet ökologische Grenzen mit sozialen Mindeststandards. Der äußere Rand definiert, wie viel die Erde maximal aushalten kann (z. B. beim CO₂-Ausstoß), der innere Ring steht für das, was Menschen zum Leben brauchen (z. B. Bildung, Nahrung, Gerechtigkeit). Dazwischen liegt der sichere Raum für Mensch und Natur.
Eine klare Einladung zur Balance – statt Prioritäten-Hierarchie: ökologisches UND soziales Gleichgewicht sind gemeinsam notwendig.
UN Sustainable Development Goals (SDGs)
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030) reichen von Armutsbekämpfung über Gesundheit und Bildung bis zum Klimaschutz. Die SDGs sind bewusst nicht hierarchisch angelegt – alle Ziele gelten gleichzeitig, weltweit und miteinander verbunden.
Das Zielsystem zeigt: Kein Problem lässt sich isoliert lösen. Aber ohne stabiles Klima gefährden wir Fortschritte in fast allen anderen Bereichen.
Planetary Boundaries (Johan Rockström et al.)
Dieses Konzept beschreibt neun ökologische Grenzen, die die Stabilität des Erdsystems sichern – darunter Klimawandel, Biodiversität und Landnutzung. Mehrere dieser Grenzen sind bereits heute überschritten.
Es ist eine Art „physikalische Realitätsschranke“: Egal wie gut Politik, Technik oder Gesellschaft funktionieren – wenn wir diese Grenzen nicht beachten, werden alle anderen Lösungen instabil.
Zusammenhänge
Auch wenn alles mit allem zusammenhängt, und auch wenn alles von allem abhängt, und man dabei den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen kann - dann ist das auch eine gute Nachricht. Das heißt nämlich, dass man “irgendwo” anfangen kann, dass sich sinnvolle Aktivitäten an verschiedenen Stellen auswirken werden.
Die vier Modelle, die ich vorgestellt habe – Earth4All, das Donut-Modell, die UN-Nachhaltigkeitsziele und die planetaren Grenzen – zeigen jedenfalls diese Zusammenhänge ganz klar:
Hunger, Armut, Artensterben, Klimakrise, Ungleichheit, Übernutzung von Ressourcen – überall gibt’s jede Menge zu tun!
Die Modelle sind einerseits hilfreich: sie geben Orientierung, machen komplexe Zusammenhänge sichtbar, helfen beim Denken.
Aber es kann eben wie oben schon gesagt auch überfordern: Wenn alles wichtig ist – wo soll ich dann anfangen?
Fokus Klima
Ich habe für mich entschieden: Ich bleibe beim Klima. Auch wenn es nicht das einzige Problem ist – es ist das zentrale Problem.
Warum?
Weil ein destabilisiertes Klima alle anderen Herausforderungen verschärft.
Weil sich Kipppunkte nicht zurückverhandeln lassen.
Weil wir hier ein sich schließendes Zeitfenster haben.
Dabei meine ich mit „Klima“ mehr als CO₂-Bilanzen: Es geht auch um Gerechtigkeit, um internationale Verantwortung, um Wirtschaftssysteme und Machtfragen. Klimaschutz ist ein Türöffner für viele andere Transformationen – wenn man ihn richtig versteht. Und trotz dieser Fokussierung bleibt mir immer noch die Möglichkeit, eine Petition gegen das Aufkommen des Faschismus zu unterschreiben.
Verantwortung und Aktion
Was nicht geht: Wegducken, Resignation, Zynismus, Ausflüchte
Man kann nicht überall gleichzeitig anpacken. Aber man kann sich entscheiden, nicht stehenzubleiben.
Ob im Kleinen:
weniger fliegen
auf ein E-Auto umsteigen
Photovoltaik aufs Dach bringen
sich beim Stromanbieter umsehen
den nächsten Urlaub klimafreundlicher gestalten
Oder im Größeren:
einer Bürgerinitiative beitreten
sich in der Kommunalpolitik engagieren
in einer Partei oder einem Verband mitmischen
Leserbriefe schreiben
andere mitziehen
Was zählt, ist nicht Perfektion – sondern Richtung.
… und dass man nicht allein geht. Wir alle suchen Orientierung. Und wir können sie uns gegenseitig geben.
Unter anderem, indem wir in eine Performance von Leuten wie Opus45 gehen und uns dabei inspirieren lassen. Zum Nachdenken, zum Reden, zum Handeln.
Und wieder gehen mir hundert Gedanken durch den Kopf beim Lesen dieses Newsletters! Weil er erneut die Dinge streift und in Worte fasst, an denen ich selbst gerade und immer, immer wieder sitze. Da ist zum Einen die Frage der Frauengerechtigkeit. Ich gestehe, ich denke spontan: Klar, ihr Männer habt es seit Jahrhunderten vergeigt, und jetzt müssen es wieder die Frauen richten. Zugegeben ein zugespitzter Gedanke, aber er bringt mich auf meiner Arbeit zum Thema "Heldinnenreise" voran. Danke dafür.
Und dann muss ich beim Lesen dieses Newsletters auch wieder daran denken, was "Faschismus" bedeutet. Natascha Strobl hat es auf ihrem vielbeachteten Vortrag auf der re:publica neulich so beschrieben: "Faschismus formiert sich als Praxis einer erlösenden, gemeinschaftlichen und lustvollen Gewalt." Für mich steckt darin die Vorstellung des "Wir gegen die", des "Wir sind den anderen überlegen" - die pervertierte Form des Darwinismus. Auf den Punkt gebracht: "Nur im Kampf können wir uns weiterentwickeln, darum ist alles, was den Kampf befeuert, gut für uns." In diesem Sinne gesehen, kommt der Klimawandel mit all seinen Verheerungen dem Faschismus entgegen.
Danke für den Denkanstoß am frühen Morgen.
Sie (die "Nazis") machen sich lustig über "die Wissenschaft". Ja dürfen sie denn das? Ja, dürfen sie! Man stelle sich einmal vor, die tatsächlichen Nationalsozialisten hätten sich damals über ihre "die Wissenschaft" namens "Rassenlehre" lustig machen dürfen. Widerspruch haben die reinsten Leeren, ihre Leerer und vor allem deren Jünger nämlich noch sehr selten wirklich geduldet.
Aber zurück zum Thema Lachen verboten: Hier empfehle ich als kleines Spieglein (wenn ich darf ) George Carlins "Saving the Planet":
https://www.youtube.com/watch?v=7W33HRc1A6c
Und jene, die sich danach auch ausnahmsweise abseits ihrer zunehmend monokulturellen Meinungskultur umschauen möchten, mögen sich doch mal im Film "Climate -The Cold Truth" umgucken. In diesem kommen neben einem Nobelpreisträger auch sonstige "unwissenschaftliche Schwurbler" zu Wort, welche die andere (und sichtlich weniger angstpornografische) Seite der "die Wissenschaft" vergeistigen. Mit freundlichen Grüßen Giordano Brunos ;-) Ist "Klimaschutz" am Ende nicht nur nicht alles, sondern sogar nichts (als ein sehr großer Haufen "guter" Kohle)?
https://rumble.com/v4klh96-climate-the-movie-the-cold-truth.html