Normalerweise fängt man einen persönlich gemeinten Brief an mit „Lieber Anton“, oder mit „Liebe Frau Schulze“. Das kann ich aber hier nicht, wenn ich an euch schreibe. An euch, die CEOs oder Lobbyisten der Fossilbranche. An euch, die ihr euer vieles Geld damit verdient, dafür zu sorgen, dass ständig mehr Kohle, Gas und Öl verbrannt wird.
Ich kann euch beim besten Willen nicht mit „Lieber…“ anschreiben, dafür habe ich einen viel zu dicken Hals, auch wenn ich ansonsten ein höflicher Mensch bin, der sich mit allen gut stellen will. Ich bin mehr als sauer auf euch, die ihr diese Entwicklung schon lange, sehr lange vorantreibt und nach wie vor davon lebt, dieses Geschäftsmodell so lange auszuquetschen wie es gerade irgendwie geht.
Ihr wollt schon wieder abwiegeln, widersprechen, ausweichen? Nein, nein, das geht jetzt nicht mehr, ich erzähl euch auch, warum.
Ihr habt es immer gewusst. Und alle anderen für dumm verkauft.
James Black, einer von euch, ein leitender Wissenschaftler bei Exxon, hat schon 1977 in einem internen Memo gewarnt:
„Es besteht allgemeiner wissenschaftlicher Konsens darüber, dass der größte Teil der beobachteten Erwärmung auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist, insbesondere auf CO₂-Emissionen durch fossile Brennstoffe.“
Er und seine Kollegen, eure Kollegen, haben in internen Modellrechnungen einen globalen Temperaturanstieg zwischen 2 und 3 Grad Celsius bis Mitte des aktuellen Jahrhunderts prognostiziert. Das sind ziemlich genau die heutigen Szenarien des IPCC, wenn wir nicht noch ganz schnell, ganz stark gegensteuern.
Und am 23. Juni 1988 trat Dr. James Hansen, der wohl renommierteste Klimawissenschaftler der Welt, der damals bei der NASA angestellt war, vor das Energy and Natural Resources Committee des US-Senats und machte seine eindeutige Aussage:
(Quelle: FRONTLINE)
Ihr habt das immer gewusst. Es war von euren eigenen Leuten glasklar erforscht worden. Ihr habt gewusst: „Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird die Welt unserer Kinder und Enkelkinder ziemlich anders ausschauen, ziemlich schlecht sogar…“
Das ist es, was ich nicht verstehen kann, beim besten Willen nicht. Einige von euch haben doch auch Kinder und Enkelkinder, und ihr liebt sie vermutlich auch, wenn ihr das noch könnt. Und trotzdem? Da wird mir schlecht, ehrlich…
Das geht nicht in meinen Kopf, meine Herren.
Im Gegenteil, ihr habt ab den achtziger Jahren eine super glorreiche Strategie gefahren. Sie hieß und heisst immer noch: Desinformation.
Ihr habt euch dafür entschieden, die ganze Welt und alle eure Mitmenschen so richtig nach Strich und Faden zu belügen. Hier verzichte ich ausnahmsweise auf Gendern, weil ihr wirklich fast ausnahmslos Männer seid.
Zwischen 1998 und 2017 hat zum Beispiel ExxonMobil laut der Union of Concerned Scientists rund 30 Millionen US-Dollar in Think Tanks wie das Heartland Institute oder das Competitive Enterprise Institute investiert, die systematisch Zweifel an der Klimawissenschaft säten. Diese Organisationen veröffentlichten pseudowissenschaftliche Studien, beeinflussten Medienberichte und beeinflussten politische Entscheidungsträger in den USA und darüber hinaus. Das haben die auf euer Kommando hin gemacht, bezahlt von eurem Geld.
Im Jahr 2023 hat ein Forscherteam der Harvard University eine Analyse interner Exxon-Dokumente aus den 1970er- und 80er-Jahren veröffentlicht. Die internen Modelle eines der größten eurer Unternehmen sagten die globale Erwärmung genauso genau voraus wie heutige unabhängige Klimamodelle – mit einem durchschnittlichen Fehler von weniger als ±0,2 °C. Gleichzeitig habt ihr von Exxon und den anderen Fossil-Giganten öffentlich über Jahrzehnte hinweg vehement verbreitet, es gebe zu viele Unsicherheiten, um politische Maßnahmen zu rechtfertigen.
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel ist eine Exxon-Werbeanzeige aus dem Jahr 2000, in der es hieß:
„Wissenschaftler können nicht mit Sicherheit sagen, ob das globale Klima sich verändert oder ob es sich um natürliche Schwankungen handelt.“
Natürlich konnten und können die das sagen, schon lange und mit einer sehr hohen Sicherheit. IHR habt das in die Anzeigen schreiben lassen. Obwohl ihr genau gewusst habt, dass ihr damit lügt.
Ihr wart mit dieser Strategie erfolgreich, das muss ich zugeben. Eure Strategie hat dringend nötige Klimaschutzgesetze über Jahrzehnte hinweg verzögert und verhindert. Eure Strategie hat Menschen verunsichert, hat die öffentliche Debatte gelähmt und hat euren Shareholdern die kurzfristigen Gewinne gesichert, für die ihr bezahlt wurdet und nach wie vor werdet. Ja, das verstehe ich: das ist euer Job, dafür werdet ihr bezahlt. Aber doch nicht um jeden Preis! Bitte, das geht doch nicht!
Verantwortung
Das verlangt ihr von euren Leuten ständig: Verantwortung übernehmen. Und das ist für mich die gravierendste Dimension eures Verhaltens. Ihr werdet eurer Verantwortung nicht gerecht! Nicht als Väter und Großväter, nicht als Onkel und Chefs, nicht als Mitmenschen. Ihr wusstet schon lange, sehr lange, dass durch das Verbrennen von Zeug, eurem Zeug, der Treibhausgaseffekt ansteigen wird, und mit ihm all die Folgen des Temperaturanstiegs. Und die sind inzwischen da, genau so wie vorhergesagt. Starkwetterereignisse, Trockenheit, Überflutungen, Waldbrände und so weiter. Und wir stecken immer noch erst ganz am Anfang dieser Entwicklung. Und ihr habt immer weiter neue Gas- und Ölfelder erschlossen. Wenn wir das Zeug auch noch alles abfackeln, was da seit Millionen von Jahren im Boden steckt, dann wird doch alles noch deutlich schlimmer, Leute.
2022 veröffentlichte die NGO Global Witness, dass fünf eurer größten Ölkonzerne – ExxonMobil, Chevron, BP, Shell und TotalEnergies – allein im Jahr 2021 über 200 Milliarden Dollar in die Erschließung neuer fossiler Vorkommen investiert haben. Zweihundert Milliarden! Das ist eine riesige Menge Geld, und einiges davon wird als „stranded assets“ vergeblich investiert worden sein. Weil wir den Übergang hin zu einer fossilfreien Wirtschaftsweise schaffen werden müssen. Per Design oder per Desaster. Ihr habt das Geld trotz des Pariser Klimaabkommens investiert. Darin hatte sich die Weltgemeinschaft verpflichtet, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 °C zu begrenzen. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) sind aber keine neuen Öl- und Gasprojekte mit diesem Ziel vereinbar (IEA Net Zero Report, 2021).
Ihr handelt damit nicht nur wider besseres Wissen, sondern auch gegen internationales Recht und gegen jedes Maß an generationenübergreifender Gerechtigkeit. Während junge Menschen auf den Straßen protestieren und Wissenschaftler Alarm schlagen, setzt sich eure Branche darüber hinweg – mit dem Wissen, dass die Folgen unumkehrbar sein werden. Die Kinder von heute, auch eure Kinder, werden in einer Welt leben müssen, die durch die Untätigkeit von gestern geformt wurde.
Aber die anderen…
Ihr wart nicht allein, ich weiß, dafür habt ihr kräftig gesorgt. Ein zentrales Element eurer jahrzehntelangen Verzögerung ist das enge Geflecht zwischen eurer fossilen Industrie und vielen politischen Entscheidungsträgern. In Deutschland wie international ist gut dokumentiert, wie eure Lobbygruppen systematisch Einfluss auf Gesetze, Subventionen und öffentliche Meinung genommen haben – und es weiterhin tun.
In ihrem Buch „Die Klimaschmutzlobby“ beschreiben Susanne Götze und Annika Joeres detailliert, wie etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder der Verband der Automobilindustrie (VDA) immer wieder klimaambitionierte Gesetze verwässert oder verhindert haben. Das sind eure Leute, die werden von euch bezahlt und voran geschickt. So wurde etwa das Klimaschutzgesetz 2021 in mehreren Punkten auf Druck aus eurer Branche abgeschwächt – obwohl das Bundesverfassungsgericht im selben Jahr ein Grundrecht auf Klimaschutz für künftige Generationen betonte.
Und ziemlich aktuell hat euch Christian Stöcker mit seinem Buch über die „Männer, die die Welt verbrennen“ ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Und er hat sich das nicht einfach so ausgedacht, er hat renommierte und nachprüfbare Quellen bemüht (Das ist so was wie Wissenschaft, ihr erinnert euch noch?). Unter anderem hat er geschrieben:
„Die Öl- und Gasbranche hat seit 1970 etwa drei Milliarden Dollar pro Tag Gewinn - nicht Umsatz! - gemacht. Jeden Tag, sieben Tage die Woche, seit über 50 Jahren“
Und diese Zahlen hat Christian Stöcker aus Quellen der Weltbank, die hat er sich nicht ausgedacht, klar?
Oder das hier vom IWF (Weltwährungsfonds):
„Die Subventionen für fossile Brennstoffe lagen im Jahr 2022 bei sieben Billionen Dollar oder 7,1 Prozent des (Welt-) Bruttosozialprodukts“
Was sind das für Zahlen, Herrschaften? Seid ihr komplett verrückt? Ich hab Respekt vor Leuten, die erfolgreich sind und gute Geschäfte machen können. Aber „gut“ heißt nicht nur „viel“. Gut heißt auch, gut für die Kinder, eure und meine Kinder, verdammt. Ihr seid wirklich die allerletzten….
Auf europäischer Ebene zeigen Studien von LobbyControl und Corporate Europe Observatory, dass ihr mit euren Öl- und Gaskonzernen jährlich über 250 Lobbyist:innen in Brüssel beschäftigt – mehr als jede andere Branche. Allein in den Jahren 2010 bis 2018 haben eure Fossilunternehmen und Verbände laut einer Greenpeace-Analyse über 250 Millionen Euro für Lobbyarbeit auf EU-Ebene ausgegeben.
Und das funktioniert: Die Subventionen für fossile Energien liegen laut EU-Kommission immer noch bei über 50 Milliarden Euro jährlich in der EU – mehr als für erneuerbare Energien. Damit wird genau das weiter unterstützt, was laut IEA und IPCC dringend beendet werden müsste.
Diese enge Verflechtung zwischen euch, der Industrie und der Politik zeigt: Es ist nicht nur ein Marktversagen, es ist ein strukturelles Systemversagen. Verantwortung wird weitergereicht, Zuständigkeiten werden verschleiert – während die CO₂-Uhr weiter tickt. Und all das macht - IHR, meine Herren.
Guns don’t kill people, people kill people
Ich weiß, ich weiß, jetzt kommt dieses Argument. Die ganze Welt hat schließlich von all der Energie profitiert, die ihr aus dem Boden geholt und verbrennen habt lassen. Und dass ihr all das ja nur machen könnt, weil die vielen Menschen so dringend Auto fahren und Gas verbrennen wollen. Ihr habt euch das Konzept des „ökologischen Fußabdrucks“ ausgedacht und mit viel Geld verbreitet. Damit wir unseren Blick auf uns selbst richten und uns gegenseitig Vorwürfe machen. Damit wir gar nicht auf die Idee kommen, euch Vorwürfe zu machen, euch zur Verantwortung zu ziehen. Ihr habt es genauso gemacht wie die Tabak-Industrie. Ihr habt euch dabei sogar von den gleichen Leuten helfen lassen.
Aber es reicht jetzt. Endgültig. Ihr habt sicher schon eure Juristen an die neue Studie aus „Nature“ mit dem Titel „Carbon Majors and the Scientific Case for Climate Liability“ gesetzt, damit sie euch einmal mehr rauspauken können. Aber das geht jetzt nicht mehr. In der Studie wird sehr, sehr schlüssig und detailliert dargelegt, wofür ihr verantwortlich seid. Und damit ihr es als klassische „businessmen“ auch versteht, hier in Zahlen:
„Die Autoren entwickelten ein umfassendes Modell, das die Emissionen von 111 fossilen Unternehmen zwischen 1991 und 2020 analysiert. Dabei wurden die Auswirkungen dieser Emissionen auf die globale Durchschnittstemperatur und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Schäden durch extreme Hitzeereignisse berechnet. Die Studie schätzt, dass diese Emissionen weltweit zu wirtschaftlichen Schäden in Höhe von etwa 28 Billionen US-Dollar geführt haben. Besonders betroffen sind Länder mit niedrigem Einkommen, die am wenigsten zur globalen Erwärmung beigetragen haben, aber am stärksten unter ihren Folgen leiden.“
So steht es in der Washington Post.
Und das ist nur eine weitere neue Studie, die eure Rolle bei all dem Desaster ganz klar macht.
Also, zieht euch warm an, erzählt euren Shareholdern schon mal vorsichtig was von den „stranded assets“, und überlegt euch, was ihr euren Kindern und Enkelkindern sagen werdet. Es reicht jetzt!
Danke, danke, danke für diesen dichten Artikel. Alles, was darin zusammenfasst ist, haben Susanne Thiele und ich mit Grausen recherchiert, als wir unseren Klima-Thriller TOXIN schrieben. Und fanden kaum Wege, wie sich dies alles erzählen lässt. Wir konzentrieren uns in dem Buch darum auf die Thematik der false balance und der willentlich und zu Desinformationszwecken veröffentlichen pseudowissenschaftlichen Artikel, die Zweifel am menschengemachten Klimawandel säen. Hier noch einmal alles zusammengefasst zu lesen, sträubt mir die Nackenhaare. Umso wichtiger, dass wir alle wieder und wieder darauf aufmerksam machen – und uns dabei vernetzen. Es reicht jetzt wirklich!