Die Schlagzeilen kennen wir: „Deutschland geht der Strom aus“, oder „Französischer Atomstrom gegen die Dunkelflaute“ und ähnliches. Das Thema ist komplex, die Stimmungsmache damit will die Verwirrung noch steigern und letztlich den Aufstieg der Erneuerbaren verlangsamen. Wir schauen uns im folgenden zwei Perspektiven dazu an:
Was hat es mit Dunkelflauten und Hellbrisen tatsächlich auf sich?
Wie wird damit politisch (und ökonomisch) Stimmungsmache betrieben?
Dunkelflaute
Eine Dunkelflaute bezeichnet eine Wetterlage, bei der überregional gleichzeitig:
kaum Wind weht (Windflaute),
die Sonne wenig scheint (bewölkt, neblig, kurze Tage),
und dies über mehrere Stunden oder Tage anhält.
In dieser Zeit liefern Wind- und Solarkraftwerke nur einen Bruchteil ihrer potenziellen Leistung. Der Strombedarf muss daher aus anderen Quellen gedeckt werden – etwa durch Speicher, Importe oder konventionelle Kraftwerke (Gas, Biomasse, ggf. Kohle).
Dauer: Es gibt keine international verbindliche Definition. In der Fachliteratur wird meist von einer Dunkelflaute gesprochen, wenn die Wetterlage mindestens 24 bis 48 Stunden andauert und großräumig (z. B. Nord- und Mitteleuropa) auftritt.
Hellbrise
Eine Hellbrise ist das Gegenteil der Dunkelflaute:
viel Wind,
intensive Sonneneinstrahlung,
über mehrere Stunden oder Tage.
Erneuerbare liefern dann mehr Strom als nachgefragt wird. Das kann zu negativen Strompreisen, Abregelung von Wind-/Solarparks und Herausforderungen bei der Netzstabilität führen.
Dauer: Auch hier gibt es keine formale Definition. Von einer Hellbrise spricht man oft bei überregionaler Wetterlage mit hoher Einspeisung (z. B. >80 % des Verbrauchs aus Wind+PV) über mehrere Stunden oder mehr als einen Tag. Wichtig ist: Ohne ausreichend Speicher oder Lastflexibilität kann dieser Strom nicht genutzt werden – es kommt zu sogenannter „Überschussproduktion“.
Das europäische Stromnetz im Umbau
Ein paar ganz grundsätzliche Zusammenhänge zum Stromnetz müssen wir uns zum Verständnis der o.g. Zusammenhänge anschauen:
Das bisherige deutsche Stromsystem war durch wenige große, zentrale Kraftwerke (Kohle-, Gas- oder Kernkraft) und einen hauptsächlich einseitigen Stromfluss gekennzeichnet.
Im Zuge der Energiewende wird der Strom aber auch oft dezentral erzeugt – etwa von Windrädern und Solaranlagen auf vielen Dächern und Feldern. Immer mehr Haushalte und Unternehmen betreiben eigene Photovoltaik-Anlagen mit Speichern und speisen überschüssige Energie bidirektional ins Netz zurück.
Um die so entstehenden Schwankungen abzufedern, kommen intelligente Netze, digitale Steuerungssysteme und Verbrauchsflexibilitäten zum Einsatz. Wir laden zum Beispiel unser Elektroauto hauptsächlich dann, wenn der Strom von der hauseigenen PV-Anlage kommt.
Der Umbau der Netzinfrastruktur ist technisch und finanziell anspruchsvoll: Netzbetreiber kalkulieren bis 2045 mit Ausbauinvestitionen im dreistelligen Milliardenbereich. Ein klimaneutrales, flexibles Stromsystem wird deshalb schrittweise entwickelt – es kann nicht von heute auf morgen fertiggestellt werden.
Bedarf und Reserven
Im europäischen Stromverbund arbeiten 36 Länder zusammen (von Dänemark bis Portugal, ca. 500 Mio. Menschen. Das bedeutet: Strommärkte und Netze sind länderübergreifend verknüpft. Deutschland ist Teil dieses EU-Binnenmarkts, in dem immer dort Strom bezogen wird, wo er gerade am günstigsten ist. Fällt durch Dunkelflauten die Erzeugung aus Wind und Sonne fast auf null, heizen Gaskraftwerke oder – im äußersten Notfall – auch Kohle- und Ölkraftwerke mit ein, um das Defizit auszugleichen.
Wichtig:
Aktuell sind in Deutschland über 90 Gigawatt (GW) an gesicherter Kraftwerkskapazität installiert. Genug, um die deutsche Spitzenlast von rund 80 GW zu bedienen.
Wir könnten also jederzeit den Strom aus inländischen Kapazitäten erzeugen, wenn wir wollten. Aber manchmal ist es einfach billiger, Strom einzukaufen. Ja, auch in Frankreich, auch Atomstrom. Allerdings ist der nur billiger, weil die französischen Steuerzahler ihre Atomenergie hoch subventionieren und damit billig machen. Wenn es heiß wird wie zum Beispiel in den letzten Tagen, werden dort Atommeiler abgestellt, weil die Wasserkühlung nicht mehr funktioniert. Dann fließt der Strom andersrum, nämlich aus unseren Erneuerbaren in Richtung Frankreich.
Das ist ein ständiger Im- und Export, der viel mit Preissignalen zu tun hat, aber sehr wenig mit echten Erzeugungs-Engpässen.
Stellschrauben gegen Dunkelflauten und Hellbrisen
Also, die Herausforderungen sind alles andere als trivial, aber wir kennen genügend Maßnahmen, um sie zu bewältigen. Natürlich muss auch der zukünftige Bedarf dabei mit einkalkuliert werden. Wir sollten und werden ganz sicher mehr Strom brauchen, wenn wir vor allem auch Wärme und Mobilität weiter elektrifizieren. Aber wir werden die Erneuerbaren weiter ausbauen, und die Stromnetze, und die Speicher, und noch einige wichtige Komponenten:
Gegen Dunkelflauten hilft:
Stromspeicher (z. B. Batterien, Pumpspeicher, Wasserstoff): Sie überbrücken Zeiten mit wenig Wind und Sonne.
Flexibler Stromverbrauch: Verbraucher wie Wärmepumpen oder manche Industrieanlagen können ihren Verbrauch verschieben.
Reservekraftwerke (z. B. Gaskraftwerke): Modern, schnell regelbar, am besten mit grünem Gas oder später mit grünem Wasserstoff.
Stromimporte aus Nachbarländern: Europa hilft sich gegenseitig – aber nur mit gut ausgebauten Verbindungen.
Energieeffizienz & Einsparung: Weniger Strombedarf bringt auch geringere Lasten in Engpasszeiten.
Gegen Hellbrisen hilft:
Große Stromspeicher & Power-to-X: Überschuss-Strom kann gespeichert oder in Wasserstoff umgewandelt werden.
Lastmanagement: Strom dann nutzen, wenn er da ist – z. B. E-Auto laden bei viel Sonne.
Intelligente Netze (Smart Grids): Sie verteilen Strom automatisch dahin, wo er gebraucht wird.
Netzausbau: Mehr Leitungen = mehr Möglichkeiten, Stromüberschüsse sinnvoll zu verteilen.
Strom zu Wärme oder Mobilität: z. B. mit Wärmepumpen oder Ladeparks für E-Mobilität.
Preisgestaltung
Ein wesentlicher Faktor ist gerade in der ganz aktuellen politischen Diskussion noch die Gestaltung der Strompreise.
„…das Festhalten an der einheitlichen Strompreiszone erzeugt in zunehmendem Maße Fehlanreize, die wiederum Eingriffe von Seiten der Netzbetreiber zur Stabilisierung des Netzes notwendig machen (Redispatch). Die Kosten für diese Eingriffe stiegen zwischen 2019 und 2023 von 1,3 auf 3,2 Milliarden Euro und könnten in den kommenden Jahren weiter anwachsen. Eine Umstellung von der einheitlichen Preiszone auf ein System lokaler Preise kann diese Kosten einsparen und zugleich die Versorgungssicherheit in Deutschland stärken, wie eine neue Studie von Agora Energiewende und dem Fraunhofer IEE zeigt. Denn mithilfe lokaler Preise lassen sich Angebot und Nachfrage gezielter in Einklang bringen und damit das Übertragungsnetz gleichmäßiger auslasten…“
(Quelle: Agora Energiewende)
Speicher
Die Notwendigkeit, Strom speichern zu können, taucht also an allen Ecken und Enden immer wieder auf. Kurzfristig können wir mit Batteriespeichern arbeiten, langfristig mit Wasserstoff und anderen Methoden Strom dann abrufen, wenn die Erneuerbaren nicht genug liefern. Dabei ist es sehr förderlich, dass aktuell die Preise für Batteriespeicher deutlich fallen:
„… Da trifft es sich gut, dass ein Speicherboom in Deutschland eingesetzt hat. In einer Dekade sind die Preise für Batteriespeicher um mehr als 90 Prozent gefallen, sodass Investoren mehr als 15 Prozent oder mehr erwarten, wenn sie eine Anlage anschließen dürfen. Die Anträge dafür türmen sich bei den Netzbetreibern, die längst über einen „Batterie-Tsunami“ klagen…“
Alarmismus: das Schreckgespenst und seine Fans
So, jetzt wissen wir einigermaßen, warum das Thema auftaucht und wie man damit umgehen kann und sollte. Trotzdem knallen immer wieder die Überschriften so, als ob es kurz vor knapp wäre und als ob wir dringend bei den alten Lösungen bleiben müssten, nämlich bei fossilen oder gar bei Kernkraftwerken.
Dahinter stecken verschiedenste Interessengruppen. Zum einen lieben Boulevardmedien natürlich die „Aufreger“ und liefern diese auch schön brav ihrer Klientel, die genau danach lechzt.
Aber auch die Kohle- und Gasindustrie schützt ihre Geschäftsmodelle. Je länger die Kraftwerke laufen, desto später werden sie unwirtschaftlich. So kann es schon mal passieren, dass eine ehemalige Energie-Managerin zur deutschen Wirtschaftsministerin ernannt wird und die Notwendigkeit von vielen Gas-Kapazitäten sehr deutlich platziert.
Da haben nachdenkliche Stimmen wenig Chancen, zum Beispiel die von Claudia Kemfert. Die renommierte Klima-Ökonomin warnt deutlich vor zu hohen Gas-Kapazitäten, die uns in eine verlängerte Abhängigkeit von Lieferanten und fossilen Geschäftsmodellen treiben. Aber siehe da - „Kemferts Klima PodCast“ wird vom MDR aus dem Program genommen, trotz sehr hoher Abrufzahlen.
Auch beim kürzlichen Blackout in Spanien und Portugal Ende April waren sie gleich da: die Schlagzeilen über die Erneuerbaren, die verantwortlich für den Stromausfall gewesen seien.
Wer den Vorfall wirklich verstehen will und sich einen echten Überblick zum aktuellen Stand der Ermittlungen verschaffen will, sei auf den Netzspezialisten Dr.Ing. habil Michael Fette verwiesen.
Summary (zum Merken)
Wir haben aktuell in Deutschland genügend Reservekapazitäten, ein Blackout durch die Erneuerbaren droht NICHT.
Wenn wir bei Engpässen und auch bei anderen Gelegenheiten Strom importieren, hat das vor allem Preis-Gründe.
Der Ausbau von Speichern, Netzen, flexiblen und dynamischen Regelungen bei Verbrauch und Erzeugung ist extrem wichtig.
Wir brauchen bis auf weiteres Gaskraftwerke, evtl. auch noch andere Erzeugungskapazitäten, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Die Notwendigkeit dieses Umbaus ist allerdings inzwischen eindeutig geklärt. Unsere Klimaziele können wir nur erreichen, wenn wir die Energiewirtschaft entschlossen transformieren.
Der Alarmismus der Gegner der Energiewende ist weder angebracht noch hilfreich.
Wenn wir die Energiewende gut auf die Reihe kriegen, werden wir günstigen und sicheren Strom haben. Und wir werden viel unabhängiger von Lieferanten und Lieferketten werden.
Ich meinerseits freu mich genau darauf…
Sehr guter erster Überblick zum Thema.