Es gab tatsächlich bei uns eine Zeit lang das „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“, sicher eine der kuriosesten Stilblüten deutscher Gesetzgebung. Es geht aber noch viel absurder, zum Beispiel bei unseren Freunden jenseits des Atlantiks. Wer käme hierzulande auf die Idee, ein Gesetz das „Eine, Große, Schöne Gesetzespaket“ zu nennen („One Big Beautiful Bill Act“ - OBBBA)?
Das tragische ist, dass der Name nicht nur kurios ist und ein weiterer Hinweis auf ein hoffnungslos übersteigertes Selbstwertgefühl. Das Riesengesetzespaket, das die Trump-Administration da letztendlich verabschiedet hat, hat unglaubliche Auswirkungen auf die verschiedensten Bereiche des öffentlichen Lebens, zum Beispiel auch auf die Staatsschulden. Für die Klimapolitik jedenfalls hat es dramatische Konsequenzen, die wir uns etwas genauer anschauen sollten.
Doch das Gesetz ist nur die eine Hälfte des Problems. Die andere Hälfte ist ein aktuelles Dokument des US-Energieministeriums (DOE), das so tut, als sei es Wissenschaft – in Wahrheit ist es aber ein trojanisches Pferd: der „Critical Review of Impacts of GHG Emissions on the US Climate“. Eine kritische Neubewertung der Auswirkungen der Treibhausgase auf das US-Klima also. Gemeinsam bilden Gesetz und Gutachten eine doppelte Abrissbirne für den Klimaschutz. Ich weiß, das sind nicht gerade „good news“, das sind sogar ausgesprochen schlechte Nachrichten, aber man muss den Bedrohungen ja ins Auge schauen, um sich drauf einstellen zu können, und um am Ende dann doch handlungsfähig zu bleiben.
Teil 1: Das Gesetz, das den Klimaschutz beerdigt.
Das OBBBA ist Trumps Gegenstück zum Inflation Reduction Act (IRA) der Biden-Ära – allerdings nicht als Verbesserung, sondern als Abrissbirne. Man muss dazu wissen, dass der IRA wirklich eine riesige Anstrengung war, den Klimaschutz voranzubringen. Jetzt aber - zahlreiche Förderprogramme für erneuerbare Energien, Elektromobilität und Energieeffizienz wurden zusammengestrichen oder komplett gestrichen. Stattdessen fließen Milliarden in Subventionen für Öl, Gas und Kohle. Genehmigungsverfahren für fossile Projekte wurden beschleunigt, Umweltauflagen geschwächt. Die Fossilbranche hat sich die mächtigste Regierung der Welt gekauft und diese bedankt sich in einem unverschämten Ausmaß.
Laut einer Analyse von CarbonBrief bedeutet das: Die USA werden ihre Emissionsziele für 2030 krachend verfehlen – um insgesamt 7 Milliarden Tonnen CO₂ bis 2050. Das ist mehr, als Deutschland in acht Jahren ausstößt, und das ist damit schlicht und einfach eine Katastrophe…
Ein Experte vom Columbia Center on Global Energy Policy formulierte es so:
„Dieses Gesetz ist eine Einladung an die fossile Industrie, sich noch einmal so richtig die Taschen zu füllen – und zwar auf Kosten aller anderen.“
Politisch ist das Gesetz also ein Triumphzug für Lobbyisten und ein Tiefschlag für alle, die Klimaschutz ernst nehmen. Wirtschaftlich bremst es die aufkommende US-Klimawirtschaft aus: Investitionen in Solar- und Windkraftprojekte stocken, internationale Unternehmen ziehen sich zurück, und selbst konservative Gouverneure in Bundesstaaten mit grüner Industrie sind alarmiert.
Teil 2: Das Gutachten, das den Konsens der Wissenschaft zerlegt.
Als ob es nicht genug wäre, Klimaschutzprogramme aus der Gesetzgebung zu tilgen, legt das DOE nach – mit einem Bericht, der den wissenschaftlichen Konsens zur Klimakrise in Frage stellt. Das „Critical Review“ behauptet, die Gefahren durch Treibhausgase seien übertrieben, die Klimaauswirkungen für die USA beherrschbar und der wirtschaftliche Schaden durch Klimapolitik größer als der durch Klimawandel selbst. Das ist ein dreister Angriff auf tausende von Forschungsarbeiten, die in der Arbeit des IPCC (Weltklimarat) kompetent und kritisch zusammengestellt werden.
Das Problem:
Keiner der Hauptautoren ist ein aktiver Klimaforscher mit peer-reviewten Publikationen zum Thema. Mit Publikationen also, die dem kritischen Blick von nachweislich kompetenten KollegInnen standhalten könnten.
Einige haben direkte Verbindungen zu Think Tanks, die seit Jahren Desinformation zu Klimathemen verbreiten.
Es gab keinen externen Peer-Review-Prozess.
Zentrale Daten wurden selektiv ausgewählt und aus dem Kontext gerissen.
Die American Meteorological Society nannte den Bericht
„methodisch mangelhaft und wissenschaftlich unseriös“.
Ein Klimaforscher der Stanford University sagte:
„Das ist kein Review. Das ist ein politisches Manifest, verkleidet als Wissenschaft.“
Die Parallelen zu anderen Fällen politisch motivierter „Forschung“ sind offensichtlich: Zweifel säen, Unsicherheit betonen, den wissenschaftlichen Konsens künstlich schwächen – damit Maßnahmen als überzogen erscheinen.
(Ausführliche Zusammenfassung der Kritik am DOE-Paper)
Die perfide Verbindung
Das Zusammenspiel von OBBBA und DOE-Bericht ist kein Zufall. Das Gesetz schwächt Klimaschutzmaßnahmen praktisch. Der Bericht liefert die „wissenschaftliche“ Begründung, warum das angeblich gar nicht schlimm ist.
Es ist also ein doppelter Schlag:
Praktische Ebene – Weniger Investitionen, mehr Emissionen.
Narrative Ebene – Weniger gesellschaftlicher Rückhalt für Klimapolitik, weil „die Wissenschaft es ja nicht so genau weiß“.
So wird Klimaschutz nicht nur gestoppt, sondern auch delegitimiert. Selbst wenn in Zukunft eine andere Regierung wieder Maßnahmen einführen will, muss sie zuerst gegen dieses künstlich erzeugte Misstrauen ankämpfen.
Die ganze Welt im Windschatten
Man könnte meinen: Das ist ein US-Problem. Doch die Auswirkungen reichen weit.
Technologieexport: Weniger US-Nachfrage nach grüner Technologie schwächt Märkte weltweit.
Politisches Narrativ: Anti-Klimaschutz-Argumente aus den USA werden in Europa aufgegriffen. Einzelne Klimaskeptiker bzw. Klimaleugner in Deutschland bedienen sich bereits jetzt des Papiers und feiern es als wissenschaftliche Absage an den „Alarmismus“.
Internationale Klimapolitik: Die USA verlieren ihre Vorreiterrolle, was Druck auf andere Länder verringert.
Die Heinrich Böll Stiftung warnt:
„Die Trump-Administration sieht Klimaschutz nicht als Pflicht, sondern als Hindernis – und behandelt ihn entsprechend.“
Für Deutschland und Europa heißt das: Die Lücke, die die USA hinterlassen, muss gefüllt werden – politisch, wirtschaftlich und moralisch.
Wenn es bislang noch heißt: „aber die Chinesen…“, werden wir ab jetzt zu hören bekommen: „aber die Amerikaner…“. Und ja, es ist natürlich fatal, dass gerade jetzt, wo in China der Umbau der fossilen Wirtschaftsweise so richtig Fahrt aufnimmt, in den USA genau das Gegenteil passiert.
Aus meiner Sicht ist der Kampf eigentlich schon entschieden, und wenn es „nur“ ist, weil die Erneuerbaren inzwischen gnadenlos günstig sind. Aber die fossilen Branchen haben eine so etablierte Power, haben so unglaublich viel Geld, und haben sich die Verbindung zur Politik über Jahrzehnte so geschickt betoniert, dass sie wohl noch eine ganze Weile „zappeln“ und kämpfen werden. Wie lange das dauert, das ist die entscheidende Frage. Für die nachfolgenden Generationen, für das Leben insgesamt, für den Planeten.
Fazit
OBBBA und das DOE-„Critical Review“ sind wie zwei Hände, die am selben Ast sägen – dem Ast, auf dem wir alle sitzen.
Die eine Hand hackt ihn mit Gesetzen an, die andere schwächt das Vertrauen in die Wissenschaft, das nötig wäre, um neue Gesetze zu erlassen.
Und während in Washington der Applaus der Öl- und Gaslobby hallt, spüren wir alle die Erschütterung. Mich macht all das vor allem - sehr wütend. Natürlich öffnet sich gleich eine ganze Palette von Gefühlen, von Hilflosigkeit über Trauer bis hin zu einem immer stärker werdenden Zorn. Einem Zorn auf die Akteure, auf alle, die solche Menschen gewähren lassen oder sogar wählen und verteidigen.
Denn Klimaschutz lebt nicht nur von Gesetzen, sondern auch von Glaubwürdigkeit. Beides steht jetzt heftig unter Beschuss – „big“, „beautiful“ und brandgefährlich.
Realismus
Warum müssen wir uns das antun? Warum suche ich so ein unangenehmes und verstörendes Thema, solch eine unselige Entwicklung aus, um darüber nachzudenken und zu schreiben?
Wo immer die Diskussion zwischen Pessimismus und Optimismus anfängt (und das geht sehr schnell, sobald jemand nur das Wort „Klima“ ausspricht…), landet man früher oder später beim „Realismus“. Das heißt, bei der Einsicht, dass man sich den Dingen stellen muss und dass man den Kopf nicht in den Sand stecken darf. Eine einigermaßen informierte Sicht auf die Entwicklungen ist die Grundvoraussetzung für wirksames Handeln. Und Handeln heißt in diesem Sinne:
„Echtes“ Handeln, also anpacken, gestalten, verändern, entwickeln. Und zwar TROTZ aller Widerstände und Rückschläge.
Handeln durch Reden, also überzeugen, diskutieren, aushandeln, gemeinsam nachdenken, debattieren. Und zwar TROTZ aller Desinformation und Lügen.
Als Argumentationshilfe braucht man ab und zu nochmal eine kurze, knackige Zusammenfassung:
Zum Merken & Diskutieren
OBBBA streicht zentrale Klimaprogramme, bevorzugt fossile Energie und beschleunigt Genehmigungen für Öl, Gas, Kohle.
Prognose: +7 Mrd. Tonnen CO₂ bis 2050 im Vergleich zu vorherigen Klimazielen.
DOE „Critical Review“ untergräbt wissenschaftlichen Konsens, basiert auf fragwürdigen Quellen und Autoren.
Doppelstrategie der fossilen Lobby: Praktische Maßnahmen stoppen + öffentliche Unterstützung untergraben.
Europa und die ganze Welt ist indirekt, aber trotzdem stark betroffen durch Markt- und Narrativverschiebung.
danke für’s Restacken…!
Danke Peter für Deine gute Aufbereitung.
Vielleicht mal als Motivation nicht aufzugeben. Unsere PV auf dem Dach tut, was sie soll. Seit April hatten wir lediglich zwei Tage, wo wir knapp weniger produziert haben, als wir verbraucht haben... unsere Erdwärmepumpe funktioniert im übrigen auch seit mittlerweile 15 Jahren vollkommen problemlos und wir frieren nicht im Winter